nd-aktuell.de / 11.08.2012 / Kultur / Seite 24

Sonnenstrahl im Keller

Jonathan Richman, Kindskopf mit Gitarre, spielt am Montag in Berlin

Thomas Blum

Einer, der sich erfreulicherweise mit seiner Musik nie eingemischt hat, wenn es um Fragen der Revolution oder des Weltfriedens ging, ist der US-amerikanische Sänger und Songschreiber Jonathan Richman, ein liebenswerter Zeitgenosse, der mit seiner Gitarre (und einem Stehschlagzeuger) auf kleinen Bühnen vor ein paar hundert Eingeweihten steht und mit erstaunlicher Konsequenz Lieder über die Schönheit der Sommerferien, das Brummen der Insekten, den armen Yeti, der sich im Supermarkt verlaufen hat, weggeworfenes Kaugummieinwickelpapier und andere wunderbare Nichtigkeiten darbietet. Das tut er nun seit über 40 Jahren.

Nun könnte man mit Fug sagen: Was soll der Scheiß? Die Antwort lautet: Das Glück ist ein guter Popsong, der maximal dreieinhalb Minuten dauert und wenigstens für diesen kurzen Zeitraum den Hörer in eine wonnevoll und selig lächelnde Kreatur verzaubert. (Es gibt manch ein zu diesem Zweck hergestelltes Medikament, das in dieser Hinsicht weniger leistet als ein Richman-Song.)

Der Ästhetik der Desillusionierung, der Kälte und des Verzagens (die vom Punk und Post-Punk bis hin zu Techno und IDM immer wieder Konjunktur hatte), setzt Richman eine Lebensbejahung entgegen, die heute wie aus der Zeit gefallen erscheint. Seine Hinwendung zum Possierlichen und Naiven, sein uneingeschränktes Bekenntnis zur Mitsingmelodie, seine Feier der Einfachheit wird zum Inbegriff der Provokation: Hab' ein Lied auf den Lippen, verlier nie den Mut, hab' Sonne im Herzen und alles wird gut!

So führt uns der inzwischen 61-Jährige mit seinem simplen Drei-Akkord-Minimal-Sound weg vom Industriegebiet und hin zur Blumenwiese, die er bestaunt wie ein kleines Kind. Und doch schwingt in seinen unschuldigen, stark auf dem Doo-Wop und dem Rock 'n' Roll der frühen sechziger Jahre basierenden Songs hie und da eine tiefe Melancholie mit: Nein, die Nostalgie ist auch nicht mehr das, was sie früher einmal war.

Ganz gleich, ob es sich um eine Ode an den mobilen Speiseeisverkäufer handelt, der mit seinem Wagen durch die Nachbarschaft fährt (»Ice cream man, ring your chimes / In the afternoon so fine«) oder um ein Loblied auf das permissive Treiben in einer Lesbenbar (»In the first bar things were so controlled / But in this bar things were Rock 'n' Roll«), Richman gelang es immer zielsicher, den Geist seiner Zeit zu ignorieren und abseits der jeweils vorherrschenden Moden der Populärkultur sein eigenes Außenseitertum zu kultivieren, das des etwas verschrobenen, ironischen Kindskopfs.

In den frühen Siebzigern bereits mahnte er in seinem Song »I'm straight« die Hippies vor den bösen Folgen des Kiffens: Schlendrian und Schlaffitum. Während der Punk aufkam, gab Richman zur Kenntnis, er wolle fortan nur noch Musik machen, »die die Ohren von kleinen Kindern und Insekten nicht verletzt«. 1983, als es unter 20-Jährigen als schick galt, schwarzgekleidet und gramgebeugt in düsteren Kaschemmen herumzustehen und das bevorstehende Weltende zu erwarten, erschien einem seine Platte »Jonathan Sings!« wie ein erlösender »Sonnenstrahl in einem finsteren New-Wave-Keller« (Karl Bruckmaier). In die Charts schaffte er es jedoch trotz seines verspielten, ohrenschmeichelnden Sonnenstrahlenpops nur ein einziges Mal, 1978, mit einem Instrumental, das zum Klassiker wurde (»Egyptian Reggae«).

Jemand, der einmal in einem Trödelladen zufällig auf eine sehr alte Schallplatte von Jonathan Richman stieß und sie ahnungslos erwarb, ohne jemals ein Lied von ihm gehört zu haben, kommentierte nach dem Hören im Internet: »Das war der Fund des Jahrhunderts, die nächsten 91 Jahre sind bedeutungslos.« Niemand behaupte, Musik könne das Leben nicht verändern. Thomas Blum

Am Montag, dem 13.August, spielt Jonathan Richman eines seiner seltenen Konzerte in Deutschland. Berlin, Festsaal Kreuzberg.