Vergesst Springerstiefel

Neues Buch zu aktuellen Entwicklungen in der Naziszene

  • Jörg Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Sie sind jung, sie sind äußerst gewaltbereit, und sie sind Nazis. Die »Autonomen Nationalisten« sind die gefährlichste Ausprägung des Rechtsextremismus, meinen die Autoren des Buches »Neue Nazis«.

»Vergessen Sie die Springerstiefel, bitte!« Mit diesem Satz beginnt das Buch »Neue Nazis - jenseits der NPD: Populisten, Nationalisten und der Terror von rechts«, das seit heute im Handel ist. Die beiden Autoren, die Journalisten Toralf Staud und Johannes Radke, stellten es gestern in Berlin vor.

Seit den 90er Jahren hat sich die Neonaziszene verändert. Was früher der Skinhead in blank gewichsten Stiefeln mit weißen Schnürsenkeln war, sind heute die »Autonomen Nationalisten« (AN): jung, sportlich, äußerst gewalttätig, hitlerbegeistert und in seinen schwarzen Klamotten kaum von der Antifa zu unterscheiden.

Auf der anderen Seite stehen rechtspopulistische Gruppierungen wie »Pro Deutschland«, die islamophobe Propaganda verbreiten, an rechtskonservative, bürgerliche Werte anknüpfen - und mit einer konsequent israelfreundlichen Haltung das »Rechtsextremismusradar« unterlaufen. Zwischen den beiden droht die »NPD regelrecht zerrieben zu werden«, heißt es in der Einleitung. Ihre Grundthese erklären die Autoren anhand vieler Beispiele. Das Buch richte sich dabei nicht an ein Antifa-Fachpublikum, sondern an eine breite Öffentlichkeit, sagte der Bundestagsabgeordnete und Leiter des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD).

Staud und Radke erzählen vom Dortmunder Stadtteil Dorstfeld, der eine Hochburg der AN ist. Daran zeigen sie, was passieren kann, wenn Nazis nicht von Anfang an entschieden entgegengetreten wird und wie schwer man sie wieder los wird, wenn sie sich einmal festgesetzt haben.

»Bei den AN spielt derzeit die Musik im Rechtsextremismus«, sagte Staud. Die jüngst neu aufgeflammte Debatte um das NPD-Verbot lenke den Blick vom eigentlich Wichtigen ab. »Den Fokus auf die NPD zu verengen«, hält auch Edathy für einen Fehler. Die NPD sei zwar nach wie vor »das Kernstück der Infrastruktur des organisierten Rechtsextremismus«, doch die Zahl der Parteigänger gehe zurück und die der dezentral organisierten, gewalttätigen Nazis steige weiter an. Zudem geben Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien Grund zur Sorge. Aber besonders die AN hätten geschafft, wovon die NPD nur träumen kann: eine der alten Ideologie verhaftete Bewegung aufzubauen, die jugendlich daherkommt. »Patchworkidentität« sagt die Soziologie, und das erklärt, warum man bei Fast-Food-Ketten essen darf, Hip-Hop hören darf, auf sein Transparent so etwas Undeutsches wie »Antifa smashen!« schreiben darf - und trotzdem ein waschechter Nazi ist. Die AN decken mit ihrem jugendlichen Duktus die letzte Lücke ab, die der organisierte Rechtsextremismus noch nicht habe schließen können, sagte Nazi-Aussteiger Felix Benneckenstein am Mittwoch. Aber die scheinbare ideologische Beliebigkeit macht auch Probleme: Einige braune Kameraden beschwerten sich schon, dass die jungen Leute nur wegen der Action mitmachen und nicht weil sie auf Volkstum, Reich und Führer abfahren.

Ohne den Blick auf die Geschichte lassen sich die AN nicht erklären, meinen Staud und Radke und behandeln darum ausführlich auch den Aufbau von Naziparteien und Kameradschaften im Ostdeutschland der 90er Jahre. Sicher: Nazis gab und gibt es auch im Westen, doch das Aufeinandertreffen von handlungsunfähigen Behörden, umtriebigen Nazikadern und einem verbreiteten Rassismus war eine ostdeutsche Besonderheit der Nachwendejahre.

Das Buch endet mit dem Kapitel »Was tun - zehn Tipps für den Umgang mit Neonazis, rechten Drohungen und der NPD«. Schon die ersten beiden bringen es auf den Punkt: »Informieren - und selbst nachdenken« und »hinschauen und Neonazis erkennen«.

Toralf Staud, Johannes Radke: »Neue Nazis - Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts.« KIWI, 2012, Köln. 272 S. 9,99 Euro

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