Fünfmal Gold für faire Betriebe

Ver.di zeichnete Unternehmen für gute Arbeitsbedingungen aus / Ratgeber vorgestellt

  • Nissrine Messaoudi
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Olympischen Spiele sind zwar vorbei, Medaillen wurden gestern aber trotzdem verliehen. Die Gewerkschaft ver.di zeichnete 28 von 70 Betrieben des Einzelhandels für »Gute Arbeit 2012« aus und stellte den ersten »Fair-Kauf-Führer« für die Region Berlin-Brandenburg vor. Er soll Berlinern, die bewusst einkaufen möchten, die Unternehmen vorstellen, die ihre Mitarbeiter fair behandeln und somit für gute Arbeitsbedingungen stehen. Allerdings ist die Auswahl sehr beschränkt. Im Technikfachhandel wurde beispielsweise nur der Saturn am Alexanderplatz gekürt - dafür gleich mit einer Goldmedaille.

»Wir wollen zwar weiterhin Missstände in Betrieben aufdecken, dieses Mal sollten jedoch Unternehmen gewürdigt werden, die auf dem richtigen Weg sind«, sagte Erika Ritter vom ver.di-Fachbereich Handel. Vergangene Skandale wie beim Lebensmitteldiscounter Lidl hätten dazu geführt, dass Bürger vermehrt verunsichert sind, wo noch »mit gutem sozialen Gewissen« eingekauft werden kann. »Mit dem Fair-Kauf-Führer wollen wir den Bürgern eine Antwort geben«, sagte Ritter. Gleichzeitig sollen Unternehmen motiviert werden, ihre Arbeitsverhältnisse gegebenenfalls zu verbessern.

Ver.di wollte mit der Befragung unter den Beschäftigten und den Betriebsräten wissen, ob ihr Unternehmen nach Tarif- und ob korrekt und vollständig bezahlt wird, es somit auch Zuschläge, Urlaubs- und Weihnachtsgeld gibt oder ob Mehrarbeit vergütet wird. Weitere Fragen waren, ob es einen Betriebsrat gibt, ob auf Arbeitszeitwünsche von Eltern Rücksicht genommen wird und ob im Betrieb Leiharbeitnehmer oder Fremddienstleister tätig sind. Um Gold zu bekommen, mussten alle sechs Fragen von den Beschäftigten positiv bewertet werden. Silber gab es bei vier positiven Antworten und Bronze, wenn nach Tarifvertrag bezahlt wird und es einen Betriebsrat gibt.

Trotz der Medaillen sieht ver.di die Entwicklungen im Einzelhandel skeptisch. In den letzten Jahren ist in der Branche die Teilzeitbeschäftigung immens gestiegen. Rund 70 Prozent der Beschäftigten arbeiten in Teilzeit. Die Zahl der Nebenjobber hat sich seit 2005 sogar fast verdoppelt und macht einen Anteil von 25 Prozent der Gesamtbeschäftigung aus. Der Einzelhandel beschäftigt zehn Prozent aller Arbeitnehmer in Berlin. Das sind rund 120 000 Menschen. In Brandenburg sind es fast 79 000. Ca. 70 Prozent davon sind Frauen.

»Die Politik muss für diese Menschen bessere Rahmenbedingungen schaffen«, forderte Erika Ritter. Besorgniserregend sei der Anstieg von Leiharbeit und Werkverträgen. Vor allem Letzteres führe zu mehr Lohndumping. Während beispielsweise eine qualifizierte Verkäuferin nach 20 Uhr tariflich über 20 Euro die Stunde bekommt, können sogenannte Drittkräfte Schätzungen zu Folge mit 6,50 bis 11 Euro pro Stunde abgespeist werden.

»Zu beobachten ist das besonders bei Edeka Reichelt, aber auch zum Teil bei Kaiser's und Rewe. Da gibt es zu später Stunde fast ausschließlich junges Personal«, weiß Ritter. Ein Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde sei zwar auch nicht »das Gelbe vom Ei«, jedoch ein Anfang, um die Lohnentwicklung nach Unten zu stoppen.

Um so verwirrender, dass Edeka Reichelt trotzdem eine Silbermedaille gestern entgegen nehmen konnte. Auch das KaDeWe, dass den gesamten Kassenbereich mit Werkvertragskräften besetzt hat, wurde mit Silber ausgezeichnet. Ver.di erklärte dazu: »Wenn man die Unternehmen sehr kritisch bewertet hätte, hätten wir so gut wie keine Medaille verliehen und keinen Ratgeber herausbringen können.« Nur wer mit Gold prämiert wurde, verzichtet auf Werkvertragsarbeiter. Das sind indes nicht viele. Von den 28 ausgezeichneten Betrieben sind es lediglich fünf.

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