»Bitte einen halben Radler«

Erster Wunsch des 70-jährigen Bergsteigers, der aus einer Gletscherspalte gerettet wird

  • Miriam Bandar, dpa
  • Lesedauer: 2 Min.
Glück, gute Ausrüstung und Training halfen einem 70-jährigen Bergsteiger aus Bayern, sechs Tage in einer Gletscherspalte zu überleben.

Völlig durchnässt, aber mit 34 Grad Körpertemperatur nur leicht unterkühlt, wurde der Mann am Dienstag auf die Intensivstation der Uniklinik Innsbruck eingeliefert. Sechs Tage und Nächte in einer Gletscherspalte auf 3000 Metern Höhe in den Tiroler Alpen lagen hinter ihm. Ob er sich etwas wünsche, fragt ihn der stellvertretende Klinikdirektor Volker Wenzel. »Am liebsten hätte ich einen halben Radler«, lautet die schlagfertige Antwort. »Die Schwestern haben sich totgelacht«, erzählt der Arzt am Mittwoch.

Für Wenzel und seine Kollegen ist der Mann - wie schon für seine Retter - ein kleines Wunder. »Ich habe ihn gefragt, ob er als Bayer nicht lieber gleich eine Maß oder ein ganzes Radler will«, sagt Wenzel. Das wäre dann doch zuviel in seinem Zustand, lehnt der Rentner aus Schmidmühlen ab. »Der Mann ist einfach abgeklärt«, analysiert der Intensivmediziner seinen ungewöhnlichen Patienten. Das ist für ihn neben Glück der entscheidende Grund dafür, dass der Mann so lange in einer scheinbar ausweglosen Situation überlebte. »Er war sehr gut organisiert, hat sich sofort seine Vorräte rationiert«, sagt Wenzel. Ein kleines Stückchen Schokolade war die Tagesration, dazu herabtropfendes Schmelzwasser vom Gletscher. Ständig kämpfte er in der Kälte gegen die Müdigkeit. »Ihm war klar, wenn er sich da hinlegt und tief einschläft, wacht er im Jenseits auf.«

Natürlich habe er über den Tod nachgedacht, erzählt der Bergsteiger dem Arzt. Aber der Gedanke an ein Wiedersehen mit seiner Familie - er hat zwei Söhne - habe ihm Kraft gegeben. »Er ist mental stark, hat die Hoffnung nie aufgegeben - das macht den Unterschied«, sagt Wenzel. Dem Mann habe auch sein guter Gesamtzustand geholfen: »Er ist zwar 70 Jahre alt, aber passionierter Bergsteiger und körperlich sehr trainiert.« Beim Sturz in die 20 Meter tiefe Gletscherspalte vergangenen Mittwoch sei er mehr gerutscht und habe sich mit einem Hüftbruch nur relativ leicht verletzt. Gute Schuhe und eine warme Jacke hielten ihn weitgehend trocken und verhältnismäßig warm.

Dass der Bayer - wie von Bergrettern kritisiert - alleine auf dem Gletscher unterwegs war, will der Arzt nicht bewerten. »Er sagte mir, es sei schwierig für ihn, Gleichgesinnte zu finden, die das so intensiv betreiben wie er.« Seinen Angehörigen habe er wohl mitgeteilt, eine Woche im hochalpinen Gebiet ohne Handyempfang unterwegs zu sein, deshalb sei sein Verschwinden nicht aufgefallen, vermutet der Mediziner.

Der Wunsch nach einem halben Radler wurde ihm übrigens nicht erfüllt. »Wir sind ein Krankenhaus und keine Bierkneipe«, lacht Wenzel.

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