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Zwischen Frust und Fest

Wie sich der harte Sparkurs der Regierung in Madrid in den Küstenprovinzen des Mittelmeeres auswirkt

  • Rainer Funke
  • Lesedauer: 3 Min.

Im Sommer werden an der spanischen Mittelmeerküste die alten Schlachten geschlagen. Nächtens landen Mauren an, erobern Strand und Burg. Nach einer Woche lautstarkem Hin und Her erobern Christen verlorenes Terrain zurück. Anderswo ziehen Stiertreiben die Leute an. Über Monate kunstvoll gefertigte riesige Puppen, die karikativ den Frust der Küstenbewohner über »die da oben« darstellen sollen, werden unter viel Spektakel angezündet. Es werden Paellas in Massen und von unglaublicher Größe verzehrt.

Man tanzt und es gibt Umzüge. Und auch das allenorts übliche Glücksspiel findet seine Anhänger. Etwa dieses: Ein Platz wird in rechteckige Felder unterteilt, auf die, wer mag, symbolisch eine Summe Geld setzen kann. Über das Areal wird hernach ein Stier getrieben. Das Feld gewinnt, auf das er einen Fladen setzt. Die gewonnene Wette bringt oftmals eine erhebliche Euro-Summe.

Frohsinn und Leichtigkeit, mit denen all die Feste des Brauchtums vonstattengehen, täuschen allerdings darüber hinweg, dass die Bankenkrise und deren Folgen, etwa der drastische Sparkurs der Regierung in Madrid, in vielen Details »ganz unten« längst angekommen ist. Landauf, landab sind die Kommunen pleite. Es regiert der Rotstift. Steuern werden erhöht. Abgeordnete und Stadtoberhäupter kürzen sich selbst und den Beamten die Bezüge. Man will Sozialleistungen abbauen. In Denia mussten dieser Tage die langgehegten Pläne für den Bau eines Theaters im Hafen wegen Geldmangels aufgegeben werden.

Im benachbarten Calp dämmern sechs unvollendete Gebäude vor sich hin, die gebaut oder saniert wurden, darunter eine Ausbildungsstätte für Behinderte, Anlagen für einen Botanischen Garten, eine Halle samt Büros für die Stadtwerke, die nach Recherchen der Küstenzeitung Costa Blanca Nachrichten (cbn) gar nicht benötigt wird. Überall fehlt es an einer Infrastruktur, die z. B. Stromversorgung, Zufahrt und ein nutzungsfähiges Umfeld sichert, dazu an einer Ausstattung mit Mobiliar. Nach vorsichtiger Schätzung aus dem Rathaus wären hierfür knappe 500 000 Euro nötig, die man nicht hat. Woher zudem die Mittel für das jeweilige Personal kommen könnten, weiß niemand. Auch Interessenten für eine Nutzung sind bislang ausgeblieben.

Laut cbn ist Calp bei weitem kein Einzelfall. In Benidorm etwa steht von einem großzügig geplanten Kulturzentrum nur das Stahlgerippe. Und der Flughafen Castellón, für 150 Millionen Euro gebaut, wird lediglich von ortsansässigen Tauben, Schwalben und Fledermäusen angeflogen.

Die Küstenbewohner hoffen derweil darauf, dass ihnen die begonnene Saison zu vielen Urlaubern und neuen Residenten verhilft. Trotz der Krise. Man bleibt aber gegenüber allzu optimistischen Prognosen skeptisch. Die Inhaberin eines von Touristen vielbesuchten Schmuckgeschäftes im Weinbauort Jalon hat deutlich weniger Ware bestellt als früher. »Man weiß nicht, was kommt«, sagt sie. Im geschätzten Gasthof »Frecher Dachs« in den Bergen hoch über Calp vermerkt man, dass Stammgäste ausbleiben. In einem thüringischen Restaurant in Denia, das auch eine Metzgerei mit zwei Filialen betreibt, hat man eben gerade diesen Eindruck nicht.

Auch die Hotelbranche reagiert. Das stets gut frequentierte »Rondo« in Figueres wirbt damit, kurzfristige telefonische Buchungen mit fünf Prozent Rabatt zu belohnen. Bislang musste man manchmal ein halbes Jahr vorher die Übernachtung bestellen, um eines Zimmers sicher zu sein. Ältere sind bei solcherart Order geblieben, jüngere dagegen planen kürzer, sagt die Dame hinter dem Tresen in der Empfangshalle. Letztere würden vor dem Monatsende nachschauen, was an Geld übrig geblieben ist, und entscheiden dann, ob sie reisen.

Weil überall in den Kommunen die Haushalte drastisch verkleinert werden, leidet vor allem auch die Bildung. Durch den vorgesehenen Stellenabbau bei Lehrern wird es in der Region Valencia - zu vergleichen mit einem deutschen Bundesland - zu Klassenstärken von 36 bis 42 Schülern kommen. Weshalb es bereits überall und mehrfach zu Schulstreiks und Protestkundgebungen gekommen ist, an denen Schüler, Lehrer und Eltern beteiligt waren.

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