Tiere sind nicht »schwul«

Wissenschaftler warnen vor oberflächlichen biologischen Vergleichen

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 2 Min.

Um die »Natürlichkeit« menschlicher Verhaltensweisen zu begründen, war es lange üblich, diese auf ähnliche Verhaltensreaktionen im Tierreich zurückzuführen. Dass ein solches Bemühen leicht in eine ideologische Sackgasse münden kann - man denke nur an das Beispiel Aggressivität -, hat sich in der Wissenschaft herumgesprochen.

Dennoch sind Vergleiche zwischen Tieren und Menschen nach wie vor beliebt und ein dankbarer Stoff vor allem für Journalisten. »Weiße Löwen beim schwulen Sex entdeckt«, titelte die »Bild«-Zeitung und schob als Kommentar ein langes »Huuuuch!« hinterher. Auch andere Medien locken gern mit reißerischen Beiträgen über »schwule« oder »les᠆bische« Sexualpraktiken im Tier᠆reich. Wer dies so bedenkenlos tue, verwische die grundlegenden Unterschiede zwischen Tier und Mensch, kritisieren die Biologen Andrew Barron und Mark Brown jetzt im britischen Fachblatt »Nature« (Bd. 488, S. 151). Allerdings zielt ihre Kritik nicht allein auf Journalisten. Auch so mancher Wissenschaftler lasse in Studien zur Sexualität die begriffliche Sorgfalt vermissen.

So berichteten zwei Psychologen unlängst in einer Fachzeitschrift über Homosexualität bei männlichen Schafen und darüber, wie das dazugehörige Verhalten von Hormonen beeinflusst werde. In britischen Zeitungen stand daraufhin zu lesen, dass Wissenschaftler das Ziel verfolgten, Homosexualität bei Schafen (und davon ausgehend auch bei Menschen) zu »heilen«. Schwulen- und Lesbenverbände protestierten scharf gegen eine solche Absicht. Denn es ist gerade mal 20 Jahre her, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Homosexualität aus ihrem Katalog der Krankheiten gestrichen hat.

Wie man als Wissenschaftler möglichen Missverständnissen vorbeugen kann, zeigte 2008 die US-Biologin Lindsay Young, die in der Zeitschrift »Biology Letters« über das gleichgeschlechtliche Verhalten von Albatrosweibchen berichtete. In Interviews lehnte sie es strikt ab, hierbei von »lesbischen Vögeln« zu reden. Eine Weigerung, die Wirkung zeigte: Fast alle journalistischen Beiträge über die von Young untersuchten Albatrosse waren sachlich verfasst und enthielten nicht die sonst üblichen aufreizenden Wendungen zum Thema Sexualität.

»Jede Studie kann nur etwas über das sexuelle Verhalten einer einzigen Art aussagen«, betonen Barron und Brown und plädieren dafür, die Begriffe »schwul« und »lesbisch« ausschließlich in Bezug auf menschliches Sexualverhalten zu verwenden. Denn dieses hänge - wie übrigens jedes menschliche Verhalten - nicht primär von genetischen oder hormonellen Faktoren ab. Es werde entscheidend vom soziokulturellen Umfeld geprägt, in dem das Individuum lebe.

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