Sägen am Bild

Das Frühwerk von Georg Baselitz in Halle an der Saale

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 3 Min.

Georg Baselitz bezeichnete diese Hamburger Privatsammlung als die wichtigste. Und in der Tat kann die Moritzburg Halle mit dieser Sammlung eine hervorragende Werkübersicht an Bildern, Zeichnungen und Grafik der 1960er und 1970er Jahre - aber auch von Einzelarbeiten und Mappen späterer Jahrzehnte - präsentieren. Brüche und Schnitte im Werk werden so deutlich belegt. Denn immer, wenn die Addition - der »Stil« - drohte, wechselte Baselitz, der seinen Künstlernamen vom sächsischen Geburtsort Deutschbaselitz herleitete, zu anderem Inhalt, anderer Verfahrensweise, anderer Form.

Der »Neue Typ«, das sind Darstellungen jugendlicher Helden mit kräftigem Körperbau, übergroßen Händen und kleinen Köpfen, Künstler-Arbeiter, romantische Handwerker des Leidens, der Ekstase und der verrückten Hoffnung in einer kaputten Welt. Der Titel der Ausstellung »Romantiker kaputt« ist ein Zitat aus der 1990 entstandenen Bildenzyklopädie »Malelade«, einer Sammlung von radierten Naturmotiven und abstrakten Strukturen, die durch Wort- und Satzfetzen gleichsam kommentiert werden. Bild und Welt bilden kein Kontinuum mehr, wie in der Romantik, sondern nur in der vergleichenden Wiederholung von Bild zu Bild lassen sich die Ursprünge einer Motivgruppe - der »Neue Typ«, Wald, Adler oder Akt - ermitteln.

Die 150 ausgestellten Arbeiten dokumentieren ein imposantes Lebenswerk, das im andauernden Entstehen und Zerstören, im Zerstören und analytischen Aufbauen besteht. Baselitz malt in der Skulptur und sägt am Bild, er hat nicht nur Motive um 180 Grad gedreht, sondern stellt die ganze Kunstgeschichte auf den Kopf.

Als er Ende der 1960er Jahre die Motive auf den Kopf stellte, stand dahinter die Absicht, den Betrachter das Bild als Bild und nicht als abbildende Darstellung sehen zu lassen. Wesentlicher Faktor der Bildrealität war nicht mehr die Mitteilung, sondern das autonome Bild, die Aussage eines Künstlers, der, um einen erzählerischen Charakter gänzlich auszuschließen, lediglich an herkömmlichen Themen wie Tierdarstellung, Stillleben, Landschaft und Menschen festhielt, sich jedoch mit Komposition, Linienführung, Farbgebung ganz neu auseinandersetzte. Schon in seinen »Heldenbildern« der 1960er Jahre stehen die Figuren, zwischen Realität und Wunsch zerrissen, riesengroß und doch merkwürdig hilflos in der Landschaft. In den »Fraktur-Bildern« wurde das Motiv fragmentiert oder verschoben, um schließlich frei im Bildraum herumzuwandern.

Die vibrierenden farbigen Häute in den 1970er Jahren wirken wie Feste der Sinnlichkeit. In seine Räume, die sowohl Himmel als auch Erde suggerieren, projizierte Baselitz seine Figuren wie aus einer doppelten Erinnerung an schon Gewusstes und erst jetzt Bewusstwerdendes. Die Motive verdoppeln sich, sie scheinen in den Räumen körperlos zu schweben, sie sinken in den Bildgrund ein oder werden übermalt und damit wieder in Frage gestellt. Von der Darstellung des menschlichen Körpers will Baselitz zur Sichtbarmachung des Bildkörpers, der »denkenden Landschaft« (Antonin Artaud) gelangen. Das an den Arbeiten nachzuvollziehen, wird zu einem spannenden Seh- und Denkerlebnis.

Georg Baselitz - Romantiker kaputt. Gemälde, Zeichnungen und Druckgrafik aus der Sammlung GAG. Stiftung Moritzburg, Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, Halle (Saale). Di 10-19 Uhr, Mi-So 10-18 Uhr, bis 7. Oktober.

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