nd-aktuell.de / 23.08.2012 / Kultur / Seite 15

Hang zur Hysterie?

ZDFneo: »German Angst«

Jan Freitag

Wenn es um Ängste geht, ist die Liste des Schreckens lang. Da gibt es die Dentophobie genannte Furcht vorm Zahnarzt. Oder vor Blut, lateinisch: Haematophobie. Seltener die Coulrophobie (Clowns), Sitophobie (Nahrung) und ganz irre: Hexakosioihexekontahexaphobie vor der Zahl 666. Man könnte es glatt mit der Phobophobie zu tun kriegen: Angst vor der Angst.

Gerade in Deutschland. Wir seien ein Volk von Bedenkenträgern mit Hang zu Hysterie, heißt es im Ausland, wo man dafür ein deutsches Wort nutzt: »German Angst«. Ein weites Feld, so ergiebig, dass ZDFneo eine Reportagereihe damit betitelt. Ob vor Gewalt, Überwachung, Abstieg oder dem Deutschsein an sich - sechs Donnerstage sucht Moderator Micky Beisenherz Ängste, die bis auf Xenophobie noch nicht mal altsprachliche Fachtermini haben. Um die Aktualität zu verstärken, geht er unter alle jene, die mit den Ursachen zu tun haben: Hooligans, Stasi-Opfer, Einwandererkinder, Bürokratiegeschädigte, karitativ Tätige und finanziell Gescheiterte.

Zu Wackelkamera und Zappelschnitten berichten sie, was uns abstößt und gleichsam anlockt. Stefan zum Beispiel, Opfer einer Messerattacke, »vier Stiche, teilweise sieben Zentimeter tief«, wie er in aller Ruhe erzählt. Doch während Boulevardschlagzeilen durchs Bild huschen, ergänzt Beisenherz mit »also lebensbedrohend« und blickt dabei betroffen drein. Es ist ein heikles Konzept. Denn der Moderator rückt der Angst nicht zu Leibe, sondern ins Herz. Das »Presenter«-Prinzip stark anteilnehmender und stets sichtbarer Reporter sorgt für entsprechende Emotionalität und nimmt der Dramaturgie somit jede Distanz.

Statt unseren Ängsten auf den Grund zu gehen, sie zu sezieren, widmet sich »German Angst« den Furchtsamen, Furchteinflößenden und macht sich zum Anwalt der Angst als solcher. Dabei könnte das Format auf dem Sender der Frage nachgehen, warum wir unsere Welt mit Sagrotan entkeimen und dadurch Krankheit erst fördern? Warum uns vor Pädophilie schneller bange wird als ihr Auftreten abnimmt? Warum die Stadt als unsicherer gilt, obwohl die Chance, auf dem Land besoffen gegen den Baum zu rasen, weit höher ist als im Rotlichtviertel abgestochen zu werden? Warum unsere Ängste also so diffus sind, ideologisch motiviert und willkürlich.

Die »Süddeutsche Zeitung« hat die synonyme Verwendung der Begriffe »Risiko« und »Gefahr« mal als Folge einer »Angst-Kultur« in der »Vollkasko-Ära« beschrieben und konstatiert, das dauernde Grausen vorm Alltag gehöre »zur prägenden Befindlichkeit der modernen Gesellschaft«. Das hat auch ZDFneo begriffen. Jetzt muss es daraus nur noch mehr machen als unterhaltsame Panoptiken unserer Befindlichkeit. Potenzial gäbe es genug: Unsere Angst vor Keimen, Dreck und BSE, vor Hässlichkeit, Verfall und Tod, vor Frigidität und Impotenz, Katastrophen, Krieg und Terror, Elektrosmog und sogar Erdnüssen. Viel Stoff für staffelweise »German Angst«.

ZDFneo, heute, 23 Uhr