nd-aktuell.de / 25.08.2012 / Brandenburg / Seite 14

Unter uns das Mittelalter

Anlässlich des 775. Geburtstages der Hauptstadt eröffnete Klaus Wowereit drei Open-Air-Ausstellungen

Nissrine Messaoudi

Das Mittelalter liegt uns zu Füßen. Auch bei Regen wurde am Freitag auf dem Jüdenhof in Mitte fleißig gegraben. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ließ es sich nicht nehmen, selbst einen Blick in die Tiefen längst vergangener Zeiten zu werfen. Anlässlich des 775. Geburtstages der Hauptstadt stellte er drei Open-Air-Ausstellungen vor, die auch Bestandteil der Langen Nacht der Museen am heutigen Sonnabend sind. Darunter die »Spuren des Mittelalters«.

»Die Geschichte der dunklen Nazi-Vergangenheit und die Geschichte der Stadtteilung zieht viele Besucher in die Hauptstadt. Über das Mittelalter in Berlin weiß man allerdings kaum etwas«, sagte der Bürgermeister. Das soll sich zum Jubiläum ändern. Seit einem Jahr befinden sich Berliner Archäologen nun auf dem Jüdenhof auf Spurensuche. Fundamente aus alten Wohnhäusern konnten sie bereits freilegen. Besucher können sich auf einem Ausstellungsturm einen Überblick über die Ausgrabungsstätte verschaffen und sich von den Historikern die teilweise gut erhaltenen Fundstücke zeigen lassen. Darunter sind beispielsweise farbenprächtige Keramikschalen und der bisher älteste Fund, eine mittelalterliche Pfeilspitze aus Metall. »Einiges davon haben wir schon im letzten Jahr gefunden«, erklärte Archäologin Anja Grote. Zwar seien vor allem Fundstücke aus der Neuzeit entdeckt worden, aber die mittelalterlichen Ausgrabungen kommen immer mehr zum Vorschein.

Acht weitere Ausstellungstürme entlang der viel befahrenen Grunerstraße informieren über weitere wichtige mittelalterliche Spuren. 500 kurze Bodentexte geben außerdem Einblicke in Politik, Wirtschaft und Alltag der Gründerzeit. »Um 1150 war hier nichts als Wald und Sumpf«, steht beispielsweise auf dem heutigen asphaltierten Vorplatz des Jüdenhofs. Trotz der vielen vergangenen Jahrhunderte lassen sich durchaus Gemeinsamkeiten zu heute entdecken, wie ein weiterer Text, der den Boden ziert, beweist: »Bier war im Mittelalter ein Grundnahrungsmittel ...«

Über Unterschiede und Gemeinsamkeiten informiert auch die Ausstellung vor der Marienkirche. »Die Berliner Stadtjubiläen 1987 und 1937 - Party, Pomp und Propaganda« gibt, wie der Name verrät, einen Rückblick auf die vergangenen Feste der Hauptstadt. Die 30 beschrifteten und bebilderten gelben Litfaßsäulen thematisieren vor allem die doppelte Jubiläumsfeier vor 25 Jahren. Die drei Meter hohen Säulen auf der linken Seite zeigen Feste und Ereignisse in Ost-Berlin. Die auf der rechten Seite informieren unter anderem über die Wasserparade im Westen. In der Mitte stehen Säulen, die einen verbindenden Charakter zwischen Ost und West darlegen. So kann man über das westliche Rockkonzert am Reichstag lesen, (David Bowie trat unter anderem auf), das im Ostteil der Stadt viele Jugendliche an die Mauer lockte Sie wollten von dort aus das Konzert akustisch miterleben.

Konzipiert hat die Ausstellung der Holländer Krijn Thiijs, der seine Dissertation über die Jubiläen der Hauptstadt verfasste. Dass ein Niederländer so eine Berliner Ausstellung auf die Beine stellt, erscheint zunächst ungewöhnlich, passt allerdings um so besser zu der Hauptstadt. Denn als »Stadt der Vielfalt«, wie die dritte Schau auf dem Schlossplatz zeigt, ist Berlin besonders eine Stadt der Migranten. »Berlin lebt von den Menschen, die es immer wieder in die Stadt zieht«, sagte Wowereit. Im Gegenteil zu anderen deutschen Metropolen, würden die Menschen hier schnell heimisch, so der Bürgermeister. Auf einem riesigen begehbaren Stadtplan im Maßstab 1:775 werden die verschiedenen Facetten der Zuwanderung sehr ansprechend dargestellt. Insgesamt sind auf dem Plan über 100 Orte markiert, die zusammen 150 Geschichten erzählen. Die zehn farblich gekennzeichneten Themen reichen von Arbeitsmigration bis hin zu Literatur und Wissenschaft.

Unter einer in den Himmel ragenden gelben Kugel steht der Besucher auf der Stresemannstraße. Hier erfährt man, dass Emine Özdamar 1965 als sogenannte Gastarbeiterin aus der Türkei kam. Sie lebte zusammen mit anderen Frauen in einem Wohnheim, das sie »Wonaym« aussprachen. Heute ist sie eine mehrfach preisgekrönte Autorin.

Was die Ausstellung auszeichnet, ist nicht nur der originelle Stadtplan, sondern auch die Zusammenstellung der Geschichten. »Wir wollten keine langweilige Gliederung oder chronologische Aufarbeitung der Migrationsgeschichte«, erläuterte Joachim Baur, Wissenschaftlicher Leiter der Schau. Das ist den Machern gelungen. Das Ergebnis ist eine spannende Mischung aus Menschen, Orten und Zeiten.

»Spuren des Mittelalters«, Rund um den Mühlendamm, bis 28.10. Rund um die Uhr zugänglich, »Die Berliner Stadtjubiläen 1937 und 1987«, vor der Marienkirche in Mitte, bis 28.10., 9.30-19.30 Uhr, »Stadt der Vielfalt«, Schlossplatz, bis 28.10., kostenlose Führungen mittwochs 17 und sonntags 13 Uhr, www.berlin.de/775[1]

Links:

  1. http://www.berlin.de/775