Die Genossen des Vaters des Che

Anarchos und Geistesverwandte trafen sich am Wochenende zur »Libertären Medienmesse«

  • Marcus Meier, Bochum
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Anarchist von heute ist freundlich und offen, liest Romane mit anarchistischen Protagonisten und beschäftigt sich ernsthaft mit linker Theorie - auch jener der marxistischen Konkurrenz. Aber er hat ein Problem mit Menschen, die sich bei rechten Verschwörungsparanoikern wie in linken Zusammenhängen wohl fühlen. Ein Rundgang über die »Limesse«.

»Aber Che Guevara war kein Anarchist«, sagt der »nd«-Reporter und fügt, verunsichert von mehreren Dutzend Minuten Infragestellung all seiner Gewissheiten, ein schüchternes »oder?« an. »Nein, Che war kein Anarchist. Aber sein Vater. Ich empfehle da dieses Buch ...« 60 Sekunden und zwei Themen später stichelt der Reporter: »Das heißt, Ihr diskutiert gar nicht nur über den spanischen Bürgerkrieg und schwärmt davon, wie pünktlich die Straßenbahnen in Barcelona fuhren, als die Anarchisten dort das Sagen hatten?« - »Nein, nicht nur. Aber es stimmt: die Straßenbahnen waren damals pünktlich wie nie!«

Etwas exotische Dialoge wie diesen oder jenen über die Frage, wie Verbraucherinteressen in einer anarchistischen Arbeiterselbstverwaltung Geltung verschafft werden könnten, konnte man abseits des offiziellen Programms am Wochenende im Bahnhof Langendreer lauschen. In Bochums soziokulturellem Zentrum trafen sich am Wochenende nämlich hunderte Anarchos aus allen Teilen der Republik zur »Libertären Medienmesse«. Zum zweiten Mal seit 2010 fand die »Limesse«, eine Art Leistungsschau des medialen Outputs der anarchistischen Szene, statt.

36 Verlage stellten Bedrucktes aus - Zeitungen wie die »Graswurzelrevolution«, Sachbücher und Belletristik. Geschichte, Theorie, Praxis. Und sogar anarchistische Kriminalromane - in denen anarchistische Ideen oder Anarchisten eine Hauptrolle spielen. Oft setzt man sich als lesender Anarchist mit der Kritik marxistischer Theorie oder marxistischer Kritik an anarchistischer Theorie oder der Kritik der marxistischen Kritik an anarchistischer Theorie auseinander. Aber auch mehrere zumindest libertäre (sprich: anarchistische oder anarchismusnahe) Webprojekte wie »Labournet« oder »Free.de« präsentierten sich auf der »Limesse« - nein, man will keine reine Buchmesse sein. Schließlich können die Damen und Herren Anarchisten noch 26 Vorträgen lauschen. Auffällig präsent sind auf das Internet bezogene Themen.

»Das Interesse ist so groß, dass wir einige Aussteller ablehnen mussten. Und im WDR-Fernsehen wurde die Limesse als Veranstaltungstipp präsentiert«, freut sich Rudolf Mühland, ein Aktivist der anarcho-syndikalistischen Kleingewerkschaft FAU, der als eine Art Pressesprecher der »Limesse« fungiert. Als Ursachen für einen von ihm konstatierten Popularitätsschub der libertären Linken macht Mühland insbesondere das Buch »Schulden. Die ersten 5000 Jahre« des anarchistischen Ethnologen David Graeber aus, das auch im bürgerlichen Feuilleton breit rezipiert wurde. Profitieren würde die Szene zudem von der Occupy-Bewegung, aus der man starken Zulauf erhalte.

Das Spektrum anarchistischer Akteure reiche vom 14-jährigen Jung-Punk bis zum 70-jährigen Friedensaktivisten. Und erstmals seit langer Zeit fühle man sich wieder stark genug, um über eine etwas verbindlichere Organisierung nachzudenken. So hätten auf der »Limesse« 50 Menschen aus NRW »zum ersten Mal seit 15 Jahren« über eine Organisation diskutiert, die sich »aktiv in soziale Kämpfe einmischen könne«. Ihr Arbeitsname: Anarchistische Föderation Rhein Ruhr.

Mancher Konflikt lässt sich unter Anarchisten locker herrschaftsfrei lösen. Auf der Messe gibt es nur vegane, also rein pflanzliche Nahrung. Wem der Sinn nach dem Verzehr toter Tiere steht, der wird halt zur nächstgelegenen Pommesbude geschickt. So kommt jeder auf seine Kosten.

Andere Konflikte bereiten mehr Ungemach: Vor der Tür des Bahnhofs Langendreer sitzt abseits vom eigentlichen Geschehen ein Szenepromi: Jörg Bergstedt hat an einer Art Katzentisch Platz genommen und unterhält sich schlecht gelaunt mit Besucherinnen der »Limesse«. Der »Autor und Öko-Aktivist« (»Kreisbote Fürstenfeldbruck«) ist nicht nur bei Kapitalisten, Gentechnikern, hessischen Innenministern sowie bei von ihm als zu lau bewerteten Umweltschützern und Globalisierungskritikern gefürchtet, sondern offenbar auch bei den eigenen anarchistischen Genossen.

Die hatten ihm den Zutritt verweigert, vor allem, weil er im Oktober 2011 bei einem rechtslastig-verschwörungsparanoiden Kongress aufgetreten war. »Der Ausgegrenzte« (Bergstedt über Bergstedt) warf den »Limesse«-Veranstaltern Zensur vor, organisierte eine Demo, stieß bei den Ordnungsbehörden aber offenbar auf wenig Gegenliebe. Die örtliche Polizei habe »ihrer heimischen und harmlosen Anarchiekultur nun wohl helfen« wollen und seine Demo »mit absurden Tricks« zu verhindern versucht, ätzte Bergstedt später. Dabei hatte Bergstedt doch nur auf der Messe lesen wollen. Sein Thema: »Freie Menschen in freien Vereinbarungen«.

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