Losung oder Lösung

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 6 Min.
Auf das Bankenpapier von Sigmar Gabriel hat die Linkspartei mit einer Vorstandserklärung geantwortet. Anlass, sich über die richtige Strategie gegenüber der SPD Gedanken zu machen: Wer spannt die Brücke zwischen programmatischem Himmel und dem Boden der parteipolitischen Realitäten?
Die Frage, wann nun eigentlich genau der Bundestagswahlkampf losgeht, wäre selbst ein knappes Jahr vor dem geplanten Termin falsch gestellt: Zwar hängen noch keine Plakate und auch bis zu den durchgestylten Bühnenshows auf Marktplätzen dauert es noch eine Weile. Die Konkurrenz der Parteien ist aber längst in einer entscheidenden Phase angekommen: Sie bestellen jetzt die strategischen Felder, auf denen sie später ihre Stärken ausspielen können. Oder auf denen sie, unter Umständen, politische Missernten einfahren, weil konstellationspolitische Bedingungen, die Erwartungen der Zielgruppen, das Themenspektrum oder gleich alles zusammen falsch eingeschätzt wurden.

Anders gesagt: Welchen Themen im kommenden Herbst für welche Partei mit welcher Zuspitzung und welchen Angeboten an die Wähler auch wirklich Zugkraft entwickeln, dafür werden in diesen Wochen die Fundamente gelegt. Zum Beispiel die Banken. Krisenrettung und öffentliche Verschuldung, Deregulierungspolitik in der Vergangenheit und neu entdeckter Regulierungswillen, das Sicherheitsbedürfnis der Kleinsparer und die dienstleistende Rolle der Geldhäuser für die Realwirtschaft – um die Kreditinstitute, vor allem die großen, kreist ein ganzes Bündel von politischen Fragestellungen. In ihren Hochhäusern und Spitzenmanagern verkörpert sich für viele der finanzmarktgetriebene Kapitalismus, sie sind »systemrelevant« und zugleich Mitverursacher der schwersten Systemkrise seit langem. Mit dem Ruf nach Bändigung der Banken, deren »kriminelle Energie« heute so oft kritisiert wird, versucht sich derzeit auch der SPD-Vorsitzende zu positionieren - sowohl innerparteilich gegenüber seinen beiden Mitbewerbern um die Spitzenkandidatur als auch gegenüber der Konkurrenz im Mitte-Links-Lager.

Ende Juli hat Sigmar Gabriel ein Thesenpapier vorgestellt, das eine kleine mediale Welle erzeugt hat - unter anderem, weil der Sozialdemokrat hier auf eine populäre Vereinfachung setzt, die auf breite Resonanz zielt, politisch aber nicht ohne Nebenwirkungen ist: Er stellt zum Beispiel einem »anständigen« Kapitalismus einen unanständigen weil raffgierigem gegenüber. Darüber ließen sich lange Diskussionen führen. Es soll an dieser Stelle aber um etwas anderes gehen. Denn zugleich listet Gabriel in seinem Bankenpapier eine Reihe von kurzfristigen Forderungen auf, etwa die nach einem Girokonto für alle oder dem Verbot des Hochfrequenzhandels. Positionen, die auch von der Linkspartei vertreten werden - und um deren Distanzierung geht es dem SPD-Chef nicht zuletzt: Bei ihrer Strategie eines rot-grünen Lagerwahlkampfes müssen die Sozialdemokraten auf eine Mehrheit setzen, die derzeit demoskopisch noch in weiter Ferne liegt, was auch daran liegt, dass im Mitte-Links-Feld mit den Piraten und der Linken ziemliches Gedränge herrscht.

Ausgetreckte Hand oder bloß Taktik?

Der Vorstand der Linkspartei hat Anfang August auf das Bankenpapier Gabriels geantwortet - mit einer Erklärung, die den SPD-Vorsitzenden dort zu packen versucht, wo dessen Politik »nicht gradlinig« ist: die SPD würde einerseits den falschen Merkelschen Kurs der Bankenrettung mittragen und andererseits eine linke Rhetorik bedienen, der es an politischer Ehrlichkeit fehle. Kurzum: »Sigmar Gabriels Forderungen sind nicht dazu geeignet, eine nachhaltige Lösung der Krise herbeizuführen.«

Das ist einerseits nicht völlig falsch, aber ist es deshalb auch schon ganz richtig? »Es geht ihm«, also Gabriel, »ganz offenbar mehr um Effekthascherei als um eine tatsächlich andere Politik«, heißt es in der Erklärung des LINKE-Vorstandes. Der Parteienkenner und Sozialwissenschaftler Horst Dietzel hat jetzt in einem Text für die Website des Forums demokratischer Sozialismus die Frage aufgeworfen, ob es mit Blick auf das Wahljahr sinnvoller ist, auf eine Politik der »ausgestreckten Hand« zu setzen - oder als Linkspartei weiter die »wir gegen alle«-Rhetorik zu bedienen. Es gebe, heißt es in seinem Diskussionsbeitrag, »offene strategische Fragen in der Kritik an Sigmar Gabriels Bankenplan«, die in direktem Zusammenhang mit den Kooperationsangeboten der neuen Doppelspitze in Richtung SPD und Grüne stehen. Liegt darin tatsächlich eine Abkehr vom bisherigen Kurs, der die SPD als »Hauptgegner« betrachtete, fragt Dietzel. Oder handelt »es sich nur um eine vorübergehende taktische Maßnahme«?

Und hier kommen der Bankenplan Gabriels und die Vorstandserklärung wieder ins Spiel: Die darin formulierte Kritik an den Sozialdemokraten sei »in sich zutiefst widersprüchlich«, so Dietzel, sie bediene zum Teil »die gleiche Argumentation, wie sie von Schwarz-Gelb vorgebracht wird«, es fehle an der Hervorhebung einer eigenen Positionen, stattdessen werde Gabriel ins Zentrum gestellt. Es komme »die Vermutung auf, ob nicht doch wieder die alte Strategie verfolgt wird, die SPD lediglich »vorzuführen«. Dies klappt ja immer, weil die SPD-Fraktion den Vorschlägen der LINKEN nicht zustimmen wird. Es stellt sich aber die Frage, ob das Stehenbleiben bei einer solchen Strategie tatsächlich noch die Erfolge bringt, wie das vor Jahren der Fall war.«

Dehm schreibt Gabriel

Es wäre nicht überraschend, wenn in der Linkspartei die Kritik Dietzels als strömungspolitisches Manöver abgetan oder als Versuch interpretiert wird, die Linkspartei auf einen »anpasslerischen« Kurs der Regierungsbeteiligung zu zwingen. Die offenen Fragen, die hier behauptet werden, wären damit aber nicht beantwortet, sondern bloß von der Haupt- auf eine Nebenbühne geschoben. Im Umgang mit den bankenpolitischen Aussagen Gabriels stellt sich nichts weniger als die Frage, wie die Linkspartei zwischen ihrem programmatischem Himmel und dem Boden der parteipolitischen Realitäten vermitteln kann.

Unlängst hat der Bundestagsabgeordnete Diether Dehm einen Brief an Gabriel gerichtet, in dem er die Kritik am SPD-Vositzenden rethorisch an den "lieben Sigmar" zurückspiegelt: Er entgegene, so Dehm, jenen "die Dir einen spielerischen Umgang mit dem Kampf gegen Bankenmacht vorwerfen, dass ich mich echt freue, dass Du zu dieser Ekrenntnis zurück bzw. nach vorne gefunden hast. Ich hoffe, die Leute nehmen wenigstens mir ab, dass Du es ernst meinst."

Meint auch Dehm es ernst? Der Vorstand der Linken jedenfalls hat Gabriel vorgeworfen, Teilforderungen zu vertreten, die »zwar in die richtige Richtung« gehen, insgesamt »aber nicht zur Lösung der akuten Krise« taugen - und außerdem »hinter der Vergesellschaftung und strengen Regulierung« zurückbleiben, wie sie von der Linkspartei gefordert würden. Umgekehrt könnten aber auch die Wähler meinen, die Forderung nach Vergesellschaftung des Bankensektors gehe zwar in die richtige Richtung, trage aber aus ihrer Sicht nicht zur Lösung der akuten Krise bei. Und sei es, weil es zu lange dauert oder die Mehrheiten dafür, für jeden sichtbar, derzeit nicht existieren.

Dietzel schreibt: »Statt die Flucht in die Losung (statt Lösung) anzutreten, wäre es sinnvoller eine Debatte in der Partei über die aktuell notwendigen Schritte zu führen.« Das ist in jedem Fall richtig. Demnächst wird die Linksfraktion im Bundestag zu einer Klausur zusammenkommen, in der es auch um die Strategie fürs Wahljahr 2013 geht. Und im Parteivorstand macht man sich auch gerade über die Schwerpunkte Gedanken. Der Wahlkampf mag noch ein Stück voraus sein. Aber es ist jetzt die zeit, in der die Linke die strategischen Felder bestellt, auf denen sie später ihre Stärken ausspielen kann - oder eben nicht.
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