Zu Hause im Dazwischen

Die Liedermacherin Barbara Thalheim wird 65

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 3 Min.

Einsam, aber nicht allein, bin ich jetzt und will es sein« - eine Liedzeile Barbara Thalheims, deren Vorname »die Fremde« bedeutet und deren Nachnamen manche, die ihr nahe stehen, in »Fatalheim« berichtigen. Hört man Lieder der deutschen Chansonnière, liest man ihre autobiografische Prosa, man könnte wirklich meinen, dass etwas Wesentliches sich im Namen spiegele: die peinvolle Bestimmung, sich niemals, nirgendwo gänzlich einfügen zu können; das Unvermögen, vorbehaltlos zuzustimmen.

Barbara Thalheim wurde zwei Jahre nach Kriegsende in Leipzig geboren. Ihr Vater, ein deutscher Kommunist, war in den letzten Kriegstagen von der Front desertiert, zuvor hatte er Jahre des Exils und im KZ Dachau durchlitten. Ihre Mutter war »ein Fehltritt des protestantischen bayerischen Grafen zu Warrow bei Hof«, wie die Tochter schreibt. Kindheit in Berlin-Karlshorst, ein Eigenbrötler-Dasein, aus dem das Vertonen von Gedichten Erlösung versprach. Sie studierte Unterhaltungskunst, sang in der »Chansongruppe Berlin«, im Oktoberklub. Von 1973 bis 1980 spielte die Thalheim mit einem Streichquartett, erste AMIGA-Alben entstanden: »Lebenslauf«, »Was fang ich mit mir an«. Konzertreisen führten sie durch Ost- und West-Europa. Ab 1980 wechselten die Bandbesetzungen.

Thalheim, widerspenstig wie ihre ungestümen Locken, eckt an. Ausschluss aus der SED, Auftritte in Kirchen. Sie rieb sich an der DDR. Diesem seltsamen Staat den Rücken zu kehren, das kam ihr nie in den Sinn. Als er verschwunden war, zog man aus den Stasi-Unterlagen beides: »Täter«- und »Opfer«-Akte. Die kurze Existenz der »wirklichen DDR« datiert sie auf die Zeit zwischen dem 4. November 1989 und dem 18. März 1990. Die Herrschaft der Ideologie war gebrochen, jene des Geldes stand noch bevor. Fünf Monate Utopie. Einen Moment fühlte »die Fremde« sich heimisch.

Ihre Lieder, zunächst von ihrem damaligen Mann Fritz-Jochen Kopka getextet, später mit eigener Feder oder mit Dichter-Freunden wie Michael Wüstefeld, schöpfen aus persönlichem Erleben. Ohne Gesellschaft, ohne Politik ist ihr dieses Erleben nicht möglich. Heute und damals nicht. 1993 lernte Barbara Thalheim den französischen Komponisten und Akkordeon-Virtuosen Jean Pacalet kennen, der ihr künstlerisch und mental zum Partner wurde. Frankreich kam ihr näher, auch musikalisch. Dem vorläufigen Abschied von der Bühne folgten - mit neuen Liedern, neuer Band und Jean Pacalet an der Seite - ab 1999 wieder Tourneen, kleine und große Erfolge. Im Juli 2011 starb ihr »französischer Zwillingsbruder«. Freunde, Gefährten, Seelenverwandte bleiben. Sie geben Halt.

In einer Erzählung über das Mädchen, das sie einmal war, schreibt Thalheim von sich in der dritten Person: »Begehrt wollte sie sein, nicht aber besessen.« - Hat der Wunsch sich erfüllt, nun, da sie 65 wird? »Einsam, aber nicht allein, bin ich jetzt und will es sein.« Es hört sich so an.

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