Vom »Prinzen« zum »letzten Ritter«

Worpswede gedenkt Heinrich Vogelers, des Suchers nach dem irdischen Paradies

  • Klaus Hammer
  • Lesedauer: 4 Min.

Alle vier Worpsweder Museen präsentieren den ganzen Heinrich Vogeler: in der Vielseitigkeit seiner Tätigkeiten (Maler, Grafiker, Schöpfer von Buchschmuck, Entwerfer von Gerät, Möbeln und Raumensembles, Architekt, Schriftsteller u.a.) wie in der Gesamtheit seiner Lebensperioden. Hatte man sich früher im Westen vornehmlich auf den Jugendstilkünstler konzentriert und dessen spätere Hinwendung zum Sozialrevolutionär und Kommunisten weitgehend ignoriert, so kann nun auch Vogelers Spätwerk öffentlich zur Kenntnis genommen und diskutiert werden.

Seine Stimmungslandschaften bevölkert der frühe Vogeler mit phantastischen Ritterfiguren, er lässt die Heiligen Drei Könige (1897) am verschneiten Dorfrand stehen, versetzt die präraffaelitische »Verkündigung Mariä« (1901) in eine Frühlingswelt. In einer Traumwelt der Geborgenheit sitzt seine erste Frau Martha mit Kind - in Natur eingehüllt - wie eine Madonna im Rosenhag (»Erster Sommer«, 1902). Sein großes Gemälde »Das Konzert. Sommerabend (auf dem Barkenhoff)« von 1905 lässt im Glanz der Blütezeit Worpswedes dann schon ahnungsvoll die spätere Krise und das Ende dieser Pracht anklingen.

»Träume« (1911) ist der Titel eines seiner Gemälde, die immer wieder von Sehnsüchten nach einer künftigen Welt der Liebe und des Friedens künden. Die praktische Verwirklichung seiner reformerischen Ziele beginnt auf seinem Grund und Boden des Barkenhoffs, mit seinem Geld, mit seinem Ruf als Jugendstilkünstler und seinen eigenen Aktivitäten. Auch die von ihm gemalten Wandbilder, die 1939 beim Umbau des Barkenhoffs verschwanden, waren so eigentlich nichts anderes als urchristlich-kommunistisch verstandene Vor-Bilder, die - ähnlich wie Brechts episches Theater - die Aufgabe von gemalten »Lehrstücken« hatten und so eine politische Botschaft lehrten.

Hier wie auf seinen Porträt-Bildern (»Rote Marie«, 1919, oder »Fidi Harjes«, 1921), auch beim Gemälde »Hamburger Werftarbeiter« (1928) sowie bei den vielen Arbeiten, die dann ab 1931 in Russland entstanden, fällt auf, dass ein ganz bestimmtes Menschenbild zum Ausdruck kommen soll. Vogeler konterfeit fröhlich singende und unverdrossen schaffende Proletarier, gläubig aufschauende Gesichter oder kampfstarke, siegesbewusste »Helden der Arbeit«. Besonders seine Agitationstafeln zeigen eine Malerei, die in geradezu ikonenhafter Manier und in liebevoll ausgeführten Detailszenen »die Morgenröte der neuen Zeit« (Vogeler), die Utopie einer neuen Gesellschaft beschwört. Jan Vogeler, der Sohn, hat seinen Vater daher als »utopischen Sozialisten« bezeichnet.

1924 begann sich die Technik der »Komplexbilder« in Anknüpfung an die kubistische Flächengliederung früherer Arbeiten herauszubilden: Die Bildfläche wird in meist asymmetrische Einzelfelder aufgesprengt, die verschiedene Wirklichkeitsausschnitte in vielfältig variierter Perspektive wiedergeben. So sollte die dialektische Ganzheit eines bestimmten Sozial- oder Produktionszusammenhangs vergegenwärtigt werden. Diese etwa 15 bis 1936 entstandenen Bilder waren gedacht als Entwürfe zu Wandbildern, die aber nie ausgeführt wurden.

1936 gab Vogeler die Technik der Komplexbilder auf, nach scharfer Kritik, etwa in der führenden Kunstzeitschrift »Iskusstwo«, die ihm Formalismus vorwarf. Von nun an gingen die reportagehaften Arbeiten aus dem Produktionsleben zurück zugunsten traditioneller Bildthemen (Landschaft und Porträt). Doch durch den Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion und seine bald darauf erfolgte Zwangsevakuierung nach Kasachstan, wo er 1942 mittellos und krank starb, konnte Vogeler Neuansätze in seiner Kunst nicht weiter verfolgen.

Die Frage nach den letzten Jahren Vogelers, die diesem »Enttäuschung von sich selbst, von der Umwelt und von der eigenen Kunst« gebracht hatten, sucht der russische Kunsthistoriker Dmitry Lyubin im Katalog so zu beantworten: »Nein, er ging entschieden seinen Weg. Heute zeigt sich, dass dieses komplizierte und unglaublich interessante Künstlerleben präzise durch Zeit und Länder verläuft und wie klar sich dieser Weg in der Kunst niedergeschlagen hat. Am Anfang seines Weges wurde Vogeler ein ›Märchenprinz‹ genannt. An dessen Ende war er der ›letzte Ritter‹«.

Heinrich Vogeler - Künstler Träumer Visionär. Worpsweder Museen (Haus im Schluh: Märchen und Minne - Aufbruch als Künstler; Barkenhoff: Gesamtkunstwerk Barkenhoff - Idylle und Wandel; Große Kunstschau: Neue Wege - Vogeler in der Sowjetunion; Worpsweder Kunsthalle: Krieg und Revolution - Der politische Vogeler), tägl. 10-18 Uhr, bis 30. September. Katalog.

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