Inszenierte Wahrheiten

MEDIENgedanken: Wie echt sind die Bilder vom Krieg?

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Bilder haben es etwas Verräterisches. Sie zeigen uns die Welt aus der Perspektive des Bildschöpfers. Ob Maler, Fotograf oder Kameramann, wir sehen stets seine subjektive Sicht auf die Dinge. Bilder zeigen uns daher auch nur, was der Schöpfer bereit ist, uns zu offenbaren. Bilder bleiben deshalb stets nur ein Abriss der Wirklichkeit. Ob diese Wirklichkeit auch etwas mit der Realität zu tun hat, hängt davon ab, welche Botschaft uns der Schöpfer übermitteln will oder kann. Längst haben wir uns daran gewöhnt, dass Bilder oft nicht mehr viel mit der Realität zu tun haben. Kaum ein Seite-1-Mädchen kommt heutzutage ohne die obligatorische Hilfe professioneller Bildbearbeitungsprogramme auf das Cover eines Hochglanzmagazins. Mag das Model in der Realität noch so ein hübscher Mensch sein, in der Wirklichkeit der Modewelt ist immer noch eine gesteigerte Überhöhung ins Absurde möglich.

Schön sind solche Manipulationen nicht, doch dem damit einhergehende Schaden für die Allgemeinheit sind glücklicherweise Grenzen gesetzt. Aufklärung über die als Realität verkaufte Illusion hat nicht zuletzt die Modewelt selbst geliefert. Zu häufig hat man uns in den letzten Jahren Modelle in Katalogen und auf Werbetafeln in den Innenstädten präsentiert, deren größter Makel in der Makellosigkeit bestand. Wohl auch deshalb gibt es seit einiger Zeit die ersten zarten Gehversuche, der Realität in der Mode wieder einen Platz einzuräumen. Die Frauenzeitschrift »Brigitte« verzichtete ab 2010 zweieinhalb Jahre lang für ihre Titelbilder und Fotostrecken vollständig auf professionelle Models und setzte stattdessen auf die natürliche Schönheit ihrer Leserschaft. Ein geschickter PR-Coup, welcher ein Stück Authentizität in die Branche brachte, deren mehrheitliche Arbeitsweise allerdings auch weiterhin auf Illusionen setzen wird. Und auch »Brigitte« hat kapituliert. Ab dem Oktober-Heft zeigt sie wieder »Profis«; die Leserinnen seien »irritiert« über die Abbildungen der Laiendarstellerinnen gewesen, begründet die Chefredaktion diesen Schritt.

In vielen Bereichen müssen an das Thema Bildmanipulation allerdings deutlich strengere Maßstäbe angesetzt werden. Nachrichtenjournalisten müssen authentische Geschichten erzählen, denn Authentizität ist ein wichtiger Gradmesser für Realität. Zwar kann letztere niemals vollkommen erreicht werden, doch die wichtigste Aufgabe des Journalisten besteht darin, seine subjektive Wahrnehmung innerhalb der Berichterstattung möglichst nahe an das Ideal der existierenden Realität heranzuführen. Dabei muss man dem Journalisten noch nicht einmal böswillige Absichten unterstellen, wenn er dieses hohe Ziel nicht erreicht. Manipulation von Bildern beginnt nicht erst am Computer sondern häufig bereits an den Schauplätzen der Geschichte.

Ein besonders hartes Los haben in dieser Frage zweifellos Kriegsreporter. Für Medien war es lange Zeit praktisch unmöglich, eigenes Film- und Bildmaterial aus Kriegsgebieten zu verwenden. Stets war und ist man auf die Zusammenarbeit mit Militär der beteiligten Staaten angewiesen. Besonders pervertiert wurde dieses Prinzip im zweiten Golfkrieg, auch bekannt als Medienkrieg. Obwohl die Zuschauer an den heimischen Bildschirmen, insbesondere in den USA, den Krieg erstmals zur besten Sendezeit ins Wohnzimmer serviert bekamen, hatten die gesendeten Livebilder nur wenig mit der Realität vor Ort gemein. Welche Bilder gesendet wurden, unterlag faktisch der Kontrolle des US-Militärs, dessen Interesse darin bestand, den Krieg im Sinne der amerikanischen Wahrheit zu inszenieren, auch wenn diese aus schlechten, grünlich flackernden, Kameraaufnahmen bestand. Mangels alternativer Zugänge spielten die Massenmedien dieses Spiel um einen angeblich sauber geführten Krieg mit und bedienten sich eifrig in dem von der Armee strengstens kontrollierten Informationspool. Deshalb sahen die Zuschauer in der Heimat auch nur, was sie im Sinne der Propaganda sehen sollten.

Weniger aus journalistischem Ethos als viel mehr zum Zwecke der exklusiven Verwertbarkeit eigenen Materials protestierten viele Medien allerdings gegen das vom US-Militär praktizierte Poolsystem. Deshalb etablierte die Armee spätestens ab dem dritten Golfkrieg auf breiter Basis das Prinzip des »Embedded Journalist«. Anstatt weniger ausgewählter Journalisten können nun deutlich mehr Medienvertreter an den Kriegshandlungen teilnehmen, wird der einzelne Reporter doch nun einer Militäreinheit zugewiesen. Mehr exklusives Bildmaterial, bedeutet allerdings noch keinen Gewinn für die Authentizität und Realität. Angesichts eines eingebetteten Reporters, umgeben von propagandistisch geschulten PR-Vertretern in Uniform, darf an einem journalistischen Mehrwert gezweifelt werden. Was zählt, ist die möglichst niemals versiegende Bilderflut, deren einziger Zweck häufig darin besteht, in der Heimat für Quote oder Auflage zu sorgen.

Dem Zuschauer und Leser daheim bleibt das Wissen um die Entstehung des Materials dagegen verborgen. Schnell gerät man als Rezipient deshalb in ein Dilemma im Umgang mit solchen Bildern. Traut man diesen ohne jede Skepsis, wird man schnell Opfer des womöglich dahinter stehenden Propagandaapparates. Begegnet man solchen Bildern dagegen grundsätzlich nur mit Argwohn, reduziert man deren Aussage schnell allein auf einen künstlerischen Aspekt.

Womöglich liegt darin aber zumindest aus Sicht des Betrachters ein Ausweg. Schließlich muss Kunst nicht die Realität abbilden sondern ist allein der Sichtweise des Schöpfers unterworfen. Einen Nutzen für den Journalismus bringt eine solche Betrachtungsweise nicht. Um das Dilemma zu lösen, müssten Medien darauf verzichten, Bilder zu verwerten, welche auch nur den Anschein einer Manipulation in sich tragen.

Der Autor ist freier Journalist und lebt in Chemnitz.

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