nd-aktuell.de / 08.09.2012 / Kultur / Seite 25

Entfremdung oder Selbstbehauptung

C. N. Adichie: Prosa aus Nigeria

Manfred Lohmeier

Mit ihren preisgekrönten Romanen »Blauer Hibiskus« und »Die Hälfte der Sonne« hat sich die nigerianische, in den USA lebende Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie in die erste Autorenriege ihrer Heimat geschrieben. Bezeichnend für ihr Werk ist zum einen die deutliche Bezugnahme auf das literarische Erbe insbesondere des Friedenspreisträgers Chinua Achebe, zum anderen das klar formulierte und postulierte kulturelle Selbstbewusstsein einer afrikanischen Stimme.

So ist Adichies Erzählungsband »Heimsuchungen« geprägt vor allem vom Erleben unterschiedlicher Kulturen. In den zwölf Geschichten geht es vor allem um die Schicksale nigerianischer Frauen, die in den USA ihr Glück suchen, dort studieren oder dorthin ihren Ehemännern folgen. Die hier dargestellten Erfahrungen schwanken zwischen Verdrängung, Verleugnung, Entwertung und sogar Verrat der eigenen Kultur und der Wiederentdeckung und Neubesinnung auf die Wurzeln der eigenen Identität. Es überrascht daher nicht, dass die letzte Erzählung dieses Buchs, »Die eigenwillige Historikerin«, darin gipfelt, einerseits dem großen nigerianischen Autor Achebe ein Denkmal zu errichten, andererseits den Stolz auf die eigene Kultur zum Ausdruck zu bringen und diese gegen abschätzige Blicke zu verteidigen.

Bezogen Adichies Romane ihr Gewicht überwiegend von der Thematik - dem nigerianischen Bürgerkrieg von 1967 bis 1970 oder der Kulisse der Sani-Abacha-Diktatur Mitte der 1990er Jahre -, so zeigt Adichie in ihren Erzählungen eine Einfühlsamkeit, mit der sie das Empfinden ihrer Hauptfiguren bemerkenswert detailliert auslotet. Adichie schildert die Mechanismen der Selbstverleugnung und Selbsterniedrigung aufgrund eines kulturellen Minderwertigkeitsgefühls, und sie seziert die psychischen Deformationen kulturell kolonisierter Persönlichkeiten. Stilistisch präzise und unverschnörkelt, sprachlich unerbittlich und klar charakterisiert Adichie ihre Figuren, die im Widerstreit zweier Kulturen leben.

So ist der Erzählungsband »Heimsuchungen« im Dazwischen angesiedelt und richtet sich an alle Leser, die in der Phase der Globalisierung nach dem angemessenen Weg zwischen Offenheit und Wandel sowie Selbstbehauptung und Beharren schwanken.

Chimamanda Ngozi Adichie: Heimsuchungen. Erzählungen. Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag. 301 S., 19,99 €.