»Andalusier, erhebt euch!«

Protestmarsch der Landarbeiter in südspanischer Region mobilisiert Zehntausende

  • Louis Max Blank, Almería
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Vorzeichen eines heißen Herbstes sind in Spanien sichtbar. In Madrid demonstrierten am Donnerstagabend 300 Menschen gegen den Besuch von Angela Merkel, in Andalusien stieß der Protestmarsch der Arbeitergewerkschaft SAT auf große Resonanz.

»Andalusien ist auf den Beinen - Andalucia en pie«, so heißt der Slogan, unter dem sich seit Mitte August 400 Landarbeiter und finanzschwache Familien Andalusiens in einem wochenlangen, anstrengenden Protestmarsch gegen die Arbeitslosigkeit quer durch die Berge und Täler über die Dörfer schleppen.

Angela Merkels Besuch nahmen die Aktivisten der radikalen Andalusischen Arbeitergewerkschaft (SAT) zum Anlass, bei Dos Hermanas nahe Malaga einen Lidl-Markt zu besetzen. Mehrere Polizei-Hundertschaften wollten den Protestzug über kleinere Straßen an versammelten Journalisten vorbeileiten, doch die Bewohner sorgten für breiten Zulauf und so gelangten die Demonstranten ins Ortszentrum. Gewerkschaftschef Diego Cañamero erklärte vor internationaler Presse den Zweck der symbolischen Supermarkt-Belagerung: »Wir Andalusier wollen der Welt zeigen, dass wir keine Lust haben, für die Schulden anderer, der Banken, den Kopf hinzuhalten. Wir besetzen den deutschen Lidl-Supermarkt, um gegen den Besuch von Angela Merkel zu protestieren. Wir haben ja nichts dagegen, dass sie Spanien besucht, aber sie will die Regierung zwingen, weitere Kürzungen durchzusetzen und damit noch mehr Leid unter das spanische Volk bringen.« Die Besetzer der Lidl-Filiale wurden zunächst festgenommen, jedoch später wieder auf freien Fuß gesetzt. Ihnen drohen Strafanzeigen wegen Ruhestörung und Nötigung.

Neben Cañamero wird die Bewegung durch den inzwischen zum andalusischen Volkshelden aufgestiegenen Bürgermeister Juan Manuel Sánchez Gordillo aus Marinaleda angeführt. Gordillo sitzt zudem für die Vereinigten Linke (IU) im Regionalparlament sitzt. »Wir fordern ein Arbeitsprogramm für die vielen arbeitslosen Feldarbeiter, die Freigabe brachliegender Landflächen und eine Versorgung für 350 000 notleidende andalusische Familien, die keinerlei finanzielle Sicherheiten mehr haben«, sagt Sánchez Gordillo. In Andalusien sind 35 Prozent der Familien von extremer Armut bedroht, es gibt bereits 200 000 Familien, in denen kein einziges Mitglied einen Job hat.

In Spaniens Krise finden die Argumente volksnaher Politiker wie Gordillo oder Cañamero in der Landbevölkerung zunehmend mehr Gehör als die Reden der gewählten Politiker. Andalusiens Kommunisten fordern eine politische Radikalkur - und finden in diesem Sommer quer durch alle Bevölkerungsschichten Anhänger, die dem Pilgermarsch der Arbeiter folgen.

In Granada mobilisierten die Landarbeiter mehr als 10 000 Demonstranten und auf der letzten Etappe des Protestmarsches, der gestern Abend in Sevilla endete, wurden nochmals Zehntausende erwartet. Die Gewerkschafter der SAT fordern unter anderem ein Ende der konfliktträchtigen Latifundienwirtschaft in Andalusien, unter der die immer ärmer werdenden Pächter leiden.

»Andalusier, erhebt euch. Tut etwas gegen die Ungerechtigkeit, die uns allen widerfährt«, rufen die protestierenden Arbeitslosen, die mit ihren Forderungen auch die Unterstützung anderer spanischer Protestbewegungen haben. Die landesweit von mehr als 8 Millionen unterstützte Bewegung der Empörten (Indignados) hält öffentlich zum Kampf der andalusischen Bauern, der mit aufsehend erregenden Aktionen die Medien erreicht hat.

Bei ihrem anstrengenden Marsch durch die großen Städte der Provinz wie Cadiz, Granada, Málaga und Sevilla setzten die Demonstranten unbequeme Ausrufezeichen. Bankgebäude in Granada und Utrera wurden besetzt und Adelssitze wie der Palacio de Moratalla des Herzogs von Segorbe bei Córdoba eingenommen. »Die militanten Aktionen helfen uns, die breite Aufmerksamkeit im Land und mehr Menschen zu gewinnen. Der Marsch war sehr erfolgreich und hat das Thema in alle Medien gebracht und eine öffentliche Debatte angestoßen. Es ist enorm wichtig, dass uns Intellektuelle und Kulturschaffende unterstützen. Wir fürchten weitere Repressalien der Regierung und können uns mit einer breiten Anhängerschaft besser wehren«, sagt der Sprecher der SAT, Miguel Sanz Alcántara. Bisher wurden 300 Klagen gegen militante Arbeiter eingereicht und Haftanträge für Gefängnisstrafen zwischen 9 Monaten und 41 Jahren gestellt

Aus Solidarität mit den verhafteten Aktivisten haben sich etliche Prominente wie der Schauspieler Willy Toledo als Selbstankläger freiwillig gestellt und ihre Daten mitsamt einem Protestschreiben an den Innenminister verschickt.

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