Gleichmacherei ist out

  • Ilona Ritter
  • Lesedauer: 3 Min.

Ich möchte die Beantwortung der Frage »Braucht eine Branche nur eine Gewerkschaft?« mit einer Gegenfrage einleiten: Wer ist berufen, auf diese Frage eine Antwort zu geben? Damit meine ich nicht, wer sich dazu berufen fühlt. Davon gibt es mehr als genug. Ich denke, das Recht für eine Antwort steht uneingeschränkt den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland zu. Dies wurde auch durch eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 27. Januar 2010 ausdrücklich bestätigt. Und das ist gut so.

Lange vor dieser Entscheidung war Tarifpluralität in Deutschland gelebte Praxis, gerade im Luftverkehr. Bevor ver.di gegründet wurde, gab es für die Branche nicht nur die Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr und die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, sondern es existierten bereits berufsgruppenspezifische Tarifverträge, insbesondere bei der Lufthansa. Damals und heute war und ist die Begründung einfach: Arbeitsbedingungen, Ausbildungs- und Karriereentwicklungen usw. zum Beispiel im Catering- oder im IT-Bereich, in der Technik, im Fracht- und Logistiksegment und beim fliegenden Personal sind nicht vergleichbar. Auch gesetzliche Rahmenbedingungen sind teilweise unterschiedlich. Das ist der Grund, warum immer schon unterschiedliche Regelwerke und Tarifverträge zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgebern im Luftverkehr vereinbart wurden.

Die Mitglieder der Vereinigung Cockpit haben sich bereits 1999, also zwei Jahre vor ver.di-Gründung, für den eigenständigen Weg entschieden. Ein Grund war, dass es vorher immer Schwierigkeiten gab, die unterschiedlichen Interessenlagen unter einen Hut zu bekommen. Auch Basisnähe und Durchsetzungsfähigkeit wurden oftmals von den Mitgliedern vermisst.

Das vorgebrachte Argument, Berufs- oder Fachgewerkschaften handeln egoistisch, ist für mich vorgeschoben. Diejenigen, die die Berufsgewerkschaften verteufeln, sollten sich lieber fragen, was die sogenannten Großgewerkschaften anders oder besser machen müssten. Es geht bei dem Ruf nach gesetzlichen Regelungen zur Einschränkung des Streikrechts schlichtweg um Machterhalt. Klassische Gewerkschaftsmodelle sind überholt, denn die Arbeitswelt hat sich verändert. Gleichmacherei ist out, das will niemand mehr. Im Übrigen würde ja eine Reglementierung von Berufsgewerkschaften nicht dazu führen, dass die Großgewerkschaften wieder mehr Mitglieder bekämen. Sie haben heute eben in bestimmten Bereichen nicht mehr die Legitimation, Tarifverträge abzuschließen.

Erneute Vorstöße, das Arbeitskampfrecht zu reglementieren, werden im Zusammenhang mit dem aktuellen Tarifkonflikt zwischen der Unabhängigen Flugbegleiterorganisation und der Lufthansa laut. Da wird unter anderem von Quotenregelungen für Tarifzuständigkeit gesprochen und man ist bemüht, zwischen Groß- und Kleingewerkschaften zu unterscheiden. Egal wie, Eingriffe in die grundsätzlich garantierten Freiheitsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind nicht akzeptabel. Deshalb gibt es von Cockpit ein deutliches Nein zu diesen Entwicklungen!

Deutschland braucht keine Rückkehr zu Modellen, an denen überholte Gesellschaftsordnungen bereits gescheitert sind. Mündige Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen auch weiterhin selber entscheiden können, durch wen sie vertreten werden wollen. Dazu gehört neben dem Recht auf die Gründung von Vereinigungen auch das Recht auf Arbeitskampf.

In der Bundesrepublik wird man sich daran gewöhnen müssen, dass Bürger Entwicklungen kritisch sehen und sich dagegen zur Wehr setzen. Das gilt im übertragenen Sinne auch für die Tarifautonomie.

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