nd-aktuell.de / 15.09.2012 / Kultur / Seite 26

Mediale Verwir(r)ung

BLOGwoche

Roberto De Lapuente

Es ist keine Eigenschaft des Qualitätsjournalismus', wenn er beständig von Uns und Wir spricht. Dies war ursprünglich einzig die Stilistik des Boulevard, Springeristik sozusagen - heute nimmt man diese Tour auch andernorts wahr. Leider verfallen die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten zusehends in boulevardeske Schablonen. Auch sie bedienen sich mittlerweile solcher fraternisierenden Pronomen, auch dort verbrüdern sich Nachrichtensprecher und Moderatoren mit ihren Zuschauern.

Bei den Olympischen Spielen war es Usus, dass Reporter »unsere Athleten« lobten oder kritisierten. Den nötigen journalistischen Abstand, um von »deutschen Athleten« zu reden, brachte man nicht mehr auf. Und selbst bei »heute« mehrt sich diese verbrüdernde Entjournalisierung. Neulich meinte ein junger Nachrichtensprecher, »unser Verkehrsminister« habe mit seiner KFZ-Schilder-Idee etwas losgetreten. Das ist eine neue Qualität, denn dass man Sportler ins Uns kollektiviert, war nicht neu, kannte man ausreichend. Einen Verkehrsminister zu »unserem Minister« zu machen, das klingt furchteinflössend, als kriegten wir ihn am Ende gar nicht mehr los, denn er gehört doch zu uns.

Die nüchterne Distanz und die absichtlich gewählte Unterkühlung gegenüber den Sujets der Berichterstattung machten mal gute journalistische Arbeit aus. In dritter Person zu berichten, galt als sprachliche Ausformung von Objektivität. Die Worte Abstand und Anstand hatten in diesem Metier insofern eine Wurzel. Objektivität war sicherlich auch nicht stets gegeben, es gab immer parteiische Journalisten - aber der Stil, das Handwerk, ja die Seriosität wurde wenigstens noch eingehalten.

Die distanzlose Ver-Wir-ung und Ver-Uns-ung ist weder seriös noch realitätsnah, denn sie suggeriert, es gäbe eine nicht näher definierte Schicksalsgemeinschaft. »Wir« und »Uns« schmiedet gesellschaftliche Partikularinteressen zusammen und sondert gegenteilige Ansichten und Interpretationen ab. Das Personalpronomen personifiziert die Sichtweise auf Dinge, die eigentlich aus Informationszwecken unpersönlich gestaltet und gehalten sein sollten.

Der Autor ist Publizist und betreibt das Weblog ad sinistram; zum Weiterlesen: www.ad-sinistram.blogspot[1]

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