Heroine weiblicher Hitze

»Some like it Heiß!« ruft Gayle Tufts in der Bar jeder Vernunft

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

So nennt sich nicht nur ihre neue Show, auch der einleitende Song trägt diesen Titel: »Some like it Heiß!«. Im Trenchcoat geht sie langsam auf die Zuschauer zu, begleitet einzig vom Klavier, wirft in einer Aufwallung von Hitze den Mantel fort, wirkt in weißer Bluse, roter Hose wie eine aus dem Saal. Sie aber steht auf der Bühne und gehört dorthin: Gayle Tufts. Nur wenige Monate nach einer erfolgreichen Soloserie im Tipi ist sie zurück mit neuem Programm - und füllt wiederum das Rund. Gayle Tufts ist kein Risiko, sie ist ein Zugpferd im doppelten Wortsinn. Mit wie vielen Pferdestärken sie durch einen gut zweieinhalbstündigen Soloabend prescht, macht ihr so schnell keine nach. Denn kaum ist der jenen Billy-Wilder-Dauerbrenner mit Marilyn Monroe zitierende Song vorüber, bricht es aus ihr heraus. Sie lädt ein zum hormonellen Happening für die ganze Familie, wird über das plaudern, was als Konversations-Killer gilt: die Wechseljahre. In ihnen steckt sie, die so dralle wie warmherzige Anfangfünfzigerin, selbst, weiß also, wovon sie spricht. Das tut sie amüsant, funkelnd ironisch und unschlagbar schlagfertig, speziell wenn sie nach ihren »Leidensgenossinnen« im Saal fahndet, mit ihnen parliert, als wäre es einstudiert.

Doch Gayle Tufts holt weiter aus, nimmt das Thema zum Anlass für wache Zeitkommentare. Da streift sie unter Wechseljahren auch das Dilemma mit unseren Bundespräsidenten, vergleicht das deutsche Klimakterium mit dem nobleren englischen change of life, der voller Chancen stecke und eine Pubertät zur Vernunft hin sei. Change war nicht von ungefähr, sagt sie, auch Teil von Obamas Wahlspot. Und singt in Brecht-Eisler-Manier einen Hymnus auf die fleißigen »Eierstockarbeiterinnen«. Landet wieder bei den Wechseljahren. Zehn einfache Fragen klären auf, ob man sich bereits darin befinde: flache Schuhe bevorzuge, einen Damenbart habe, sich als die eigene Mutter im Spiegel erkenne. Elegant führt das«auf Tufts nagelneues Buch mit autobiografischen Kurzstories, von denen sie zwei vorträgt, mit unnachahmlichem Akzent, umwerfendem Witz. Wie sie sogar einem heiklen Thema, dem windgepeitschten Verstreuen der Asche ihrer verstorbenen Mutter, brillant groteske Momente abgewinnt, ist große Kunst. Die besinnliche »Massachusetts Symphony« holt ins Gefühlvolle zurück.

Doch gleich dampframmt sie weiter. Erzählt von der Amerikaner Begeisterung für Angela Merkel und deren Zwei-Systeme-Leben, sieht schon Meryl Streep als Merkel im Streifen »Wechseljahre«. Und reimt in einem ihrer vielen Songtexte Michelle Obama auf Oberarme. Nach der Pause gestaltet sie, in schlichtem Schwarz-Weiß, »Fever«, die »Hymne der Wechselweiber«, räkelt sich in der französischen Version als Caterina Valente auf dem Piano. Selbst um die schrumpfende, vertrocknende Vagina macht Tufts verbal keinen Bogen und ankert wieder bei ihrem Buch, diesmal der köstlichen Beschreibung ihres Highschool-Abschlussballs und der kläglichen »Aufklärung« im Unterricht durch Nonnen. Gayle aber wollte weg, in die bunte Welt, singt nach, was sie damals begeistert hat: Bruce Springsteens »Born to run«. Wider alles, was die Welt hindert, das Leben zu zelebrieren, von Terror bis Homophobie, wütet sie an, in der Moderation ebenso wie im »Es reicht«-Tango mit Marian Lux, ihrem feinfühligen musikalischen Begleiter und Komponisten vieler der Lieder. Berlin, die Dame in den Wechseljahren, liebe sie, sei hier glücklich, bezieht in ihren freundlich-gutmütigen, nie verletzenden Spott auch Lux ein, flirtet mit ihm, dem jungen Schwulen aus Bad Freienwalde. Dann aber feiert auch sie das Leben, singt lauthals im Disko-Stil »I’m every woman«, lässt die Zuschauer einstimmen.

Zwei Zugaben müssen her, darunter »Home again«, die Carol-King-Ballade über Heimweh, an dem auch Tufts bisweilen leide. Den Saal hat sie da schon lange für sich gewonnen, entlässt alle froher Stimmung in den Alltag. Gayle Tufts, die selbst ihren Namen zum Ulk freigibt, ist eben keine geschönte Mogelpackung, sondern eine zutiefst bodenständige Frau im besten Alter. Sie schaut vor und nach der Show genauso aus wie auf der Bühne, ist direkt, bescheiden, witzig, zupackend, gefühlig, mit Gespür für das rechte Wort, den richtigen Gag. Sie ist fest bei sich und im prallen Leben, Gayle Tufts, die aktive Aktivistin weiblicher Wehrhaftigkeit, die aus Amerika mit der Berliner Schnauze. Wenn das kein Lob ist.

Bis 27.9., Bar jeder Vernunft, Schaperstr. 24, Wilmersdorf, Kartentelefon 883 15 82, www.bar-jeder-vernunft.de

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