Du steigst nicht zwei Mal in den Fluss

Ruhrgebietsmuseen zeigen Fluxus-Kunst

  • Britta Caspers
  • Lesedauer: 3 Min.

fluxus (lat.): fließend, wallend, haltlos, schwankend, unsicher, ver- oder zerfallend.

Fluxus ist die wohl radikalste, experimentellste Kunstbewegung und Kunstform des 20. Jahrhunderts; ein internationales Netzwerk von Künstlern, das spielerisch, humorvoll, häufig auch provokant und voller Zerstörungslust neue Wege beschritt, um die Trennung zwischen Kunst und Leben ein für allemal zu überwinden. Fluxus reflektiert auf die Medien sowie den Medienkonsum der damaligen Zeit: Fernsehen, Video und Musik und integriert nicht nur Raum, Licht und Geräusche, sondern alle nur denkbaren Materialien; es ist außerdem getragen von dem Gedanken des Künstlerkollektivs und der Auflehnung gegen jedwede Form bürgerlicher »Hochkultur«.

Wichtige Vertreter, neben dem Hauptinitiator George Maciunas, sind George Brecht, Allan Kaprow, Wolf Vostell, Dick Higgins, Al Hansen, Charlotte Moorman und Nam June Paik - ihre Arbeiten und die vieler anderer sind in den beiden Ausstellungen in Bochum und Dortmund versammelt. Doch während Bochum sein Fluxus-Projekt erklärtermaßen unter das Motto stellt: »Kunst muss eine Haltung haben«, fordert die Dortmunder Schau vieldeutig: »Fluxus - Kunst für Alle!«

Da sich Fluxus wesentlich durch die Destruktion der Vorstellung vom statischen und in sich geschlossenen Kunstwerk zugunsten einer prozesshaften, dialogischen und öffentlichen Kunst auszeichnet, bei der Nicht-Künstler mit ihren eigenen gestalterischen Mitteln und Ideen spontan mitwirken sollen, fordern manche der Exponate und Installationen den Besucher zum Mitmachen und Sich-Einlassen auf. Nicht weniger subversiv waren auch die in der Dortmunder Schau dokumentierten Konzepte, mit denen die Fluxus-Künstler eine Alternative zum des Kunstmarkts und - getreu dem Motto: Kunst für Alle! - den Vermarktungsstrategien von Kunst zu erschließen suchten.

Über den lokalhistorischen Hintergrund der Ausstellung in Bochum hinaus wird die gesellschaftlich-politische Bedeutung solcher provokativer Spektakel im öffentlichen Raum in den 60er und 70er Jahren - vielfach initiiert durch die damals noch junge Galeristin Inge Baecker - deutlich. Darüber hinaus ist die die Ausstellung durch eindrucksvolles Text- und Bildmaterial vertiefende - und sich erfreulicherweise als ganz und gar bücherregaluntauglich erweisende - »Zeitung« sowie das Begleitprogramm in den kommenden Wochen interessant, vor allem sicherlich ein Konzert aus dem Bereich improvisierter Musik, die einen passenderen Rahmen nicht finden kann als diesen.

Trotz aller Anregung, die der Besucher durch die geist- und humorvolle Zusammenstellung der Objekte und Dokumente empfängt, bleibt eine gewisse Ratlosigkeit, ja Resignation zurück. Hält man nichtsdestotrotz daran fest, dass Kunst eine Aufgabe im Gesamtzusammenhang »Gesellschaft« hat, dann können wir uns scheues Aufbewahren bestimmter Ideen und Konzepte hinter Glas, das sich im nostalgischen Staunen verliert, nicht leisten. Der von Fluxus formulierte Auftrag lautet: Grenzüberschreitung als Prinzip zu betreiben, bis an die Grenze zur Selbstauflösung. Und zwar als nicht-elitäre und öffentliche Auseinandersetzung mit heute gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen. Nur im Widerspruch der Kunst zur Gesellschaft lässt sich die angesprochene ›Haltung‹ im Künstler wie im Betrachter provozieren, die dann aber unweigerlich über die Kunst hinausweist und sich der wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzung öffnen muss. Stattdessen aber ist Kunst heute längst keine »Selbstverständigungsform des Geistes« (Hegel) mehr, sondern - wie banal: Kunst ist Ware.

Fluxus-Kunst und das sie tragende egalitäre und emanzipatorische Verständnis von Kunst ist inzwischen an genau dem Ort angelangt, den sie aufbrechen, zerstören wollte: im Museum. Auch wenn es paradox erscheinen mag: Dies deutlich gemacht zu haben - und damit die Situation, in der wir uns befinden -, ist das Verdienst dieser beiden Ausstellungen.

● »Inge Baecker Bochum - Fluxus Ruhrgebiet« im Kunstmuseum Bochum, bis 21. Oktober.

● »Fluxus - Kunst für Alle!« im Dortmunder U bis 6. Januar 2013

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