nd-aktuell.de / 22.09.2012 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 60

Merkel-Weg, Euro-Crash oder soziale Integration

Drei ökonomische Szenarien, wie es in der Eurozone weitergehen kann

Kurt Stenger
Es gibt immer Alternativen - das kann nicht einmal die Kanzlerin mehr bestreiten. Ökonomisch denkbar und realistisch sind drei unterschiedliche Szenarien, wohin die Eurozone steuert.

1: Weiterwursteln

Die Eurozone folgt dem von der Bundeskanzlerin des wirtschaftlich mächtigsten EU-Landes vorgegebenen Weg. Durch drastische Reduzierung der Haushaltsdefizite sollen sich die Mitgliedsstaaten das Vertrauen der Finanzmärkte zurückholen und international »wettbewerbsfähig« werden. Der Fiskalpakt mit seinen verbindlichen Sparvorgaben und Strafandrohungen bei Verstößen wird überall in Euroland umgesetzt. Massive Kürzungen von Sozialleistungen sind die Folge. Der Währungsraum spart sich in eine jahrelang anhaltende Depression hinein: Rezession oder schwaches Wirtschaftswachstum, hohe Arbeitslosigkeit, steigende Armut, deflationäre Tendenzen, Firmenzusammenbrüche, schwankende Banken. Da die Europrobleme einen globalen Abschwung nach sich ziehen, kommt es auch in den Exportnationen zu einer massiven Verschlechterung der konjunkturellen Lage. Kleinere Wachstumsprogramme der EU können die Lage nur kurzzeitig stabilisieren. Die Finanzmärkte bleiben nervös, weshalb die EZB mehrmals eingreifen muss. Auch Italien und Spanien schlüpfen unter den Rettungsschirm.

2: Austritt Griechenlands

Die Prüfung der griechischen Staatsfinanzen durch die Troika ergibt, dass die Vorgaben zum Abbau des Haushaltsdefizits nur mit noch verschärftem Sparkurs einzuhalten sind. Athen bittet die Europartner um Zahlungsaufschub, weil die Situation im Lande sozial und politisch vollends aus den Fugen zu geraten droht. Die Eurogruppe streitet heftig über ein drittes Rettungsprogramm für Athen, das letztlich am Widerstand der finnischen und der deutschen Regierung scheitert, wo FDP und CSU den Ton angeben. Athen beschließt den Austritt aus dem Euro. Griechische Banken gehen unter dem Ansturm von Sparern pleite; viele Bürger verlieren ihre Ersparnisse und ihre Altersvorsorge. Erneute massive Turbulenzen an den Finanzmärkten. Griechenland taumelt in den Staatsbankrott. Da Athen die Hilfskredite nicht mehr bedienen kann, bekommen in vielen Euroländern rechtspopulistische und ultranationalistische Gruppierungen Aufwind. »Kein Cent den Pleitestaaten und ihren Banken« lautet die Parole. Die EZB kann wegen massiven politischen Widerstands keine Staatsanleihen mehr aufkaufen. Es kommt zum Dominoeffekt - zahlreiche weitere Staaten müssen aus dem Euro austreten und werden ihrem Schicksal überlassen. Übrig bleibt ein Kerneuropa mit massiven wirtschaftlichen Problemen. Dort steigen nun auch die Zinsen für Staatsanleihen stark an. Brutaler Standortwettkampf zwischen den Staaten.

3: Die Alternative

Massive Bürgerproteste, die sich europaweit ausdehnen, und Wahlsiege linker Parteien sorgen für einen politischen Umschwung in Europa. Sparprogramme werden auf Eis gelegt. Euroland wird auf ein stabiles finanzpolitisches Fundament gestellt: mit Einführung einer europaweiten Vermögensabgabe, einer Finanztransaktionssteuer und höheren Unternehmens- und Reichensteuern. An die Stelle von Fiskalkriterien treten strenge Sozial- und Umweltstandards. Über einen Tilgungsfonds erfolgt eine allmähliche Rückführung der Schulden. Ökologisch orientierte Wachstumsprogramme für den Umbau des Energiesektors beenden die Rezession in den Krisenländern. Der Finanzsektor wird streng reguliert - mit einer europäischen Bankenunion, Eigenkapitalauflagen, Verbot rein spekulativer Geschäfte, Stärkung des Verbraucherschutzes und Vergesellschaftung. Um nicht mehr von den Finanzmärkten erpressbar zu sein, werden Eurobonds mit niedrigen Zinsen eingeführt. Sollte es noch Probleme bei der Schuldenrefinanzierung geben, springt eine mit Banklizenz ausgestattete neue Rettungseinrichtung ein. Nach ausführlichen Debatten und europaweiter Volksabstimmung wird ein Ausgleichsmechanismus zwischen armen und reichen Regionen, zwischen Ländern mit Überschüssen und Defiziten eingeführt. Ministerrat und EU-Kommission verlieren an Einfluss zu Gunsten des Europaparlaments und direkter Bürgerbeteiligung.

Siehe Grafik: Zahlen und Fakten zur Eurozone[1]

Links:

  1. http://www.nd-aktuell.de/eurografik/