Die andere Seite der Kanarischen Inseln

Die spanischen Touristenziele werden zunehmend gegen illegale Einwanderung abgeschottet

  • Knut Henkel, Santa Cruz de Tenerife
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Kanarischen Inseln werden zum Einfallstor für illegale Einwanderung hoch stilisiert. Die Bevölkerung reagiert ablehnend gegen die Immigranten aus Afrika.
Ausgezehrt und entkräftet wirken die jungen Männer, die dem Patrouillenboot der Guardia Civil entsteigen. Fünf afrikanische Jugendliche verlassen das stählerne Schnellboot und werden in einen bereitstehenden Kleinbus der Polizei mit abgedunkelten Scheiben der Polizei verfrachtet. Ein Fotograf schiebt sich kurz an den Polizisten vorbei und drückt mehrfach auf den Auslöser. Dann gibt der Fahrer Gas, und die kleine Menschenmenge, die sich gebildet hatte, verläuft sich wieder im Hafen von Los Cristianos. Auf Teneriffa »parkt« man die Immigranten bislang in Polizeikasernen, dorthin werden auch die fünf Jugendlichen gefahren. Sind Personalien und Herkunft geklärt, werden Illegale zügig abgeschoben. Routine für die Polizisten, für die Jugendlichen das vorzeitige Ende eines Traums - über die Kanaren den Sprung aufs spanische Festland zu schaffen und im reichen Europa unterzutauchen. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht Illegale in Küstennähe einer der sechs Kanareninseln aus dem Atlantik gefischt werden. 81 waren es an diesem Tag, informiert die »Guardia Civil« durch den verantwortlichen Brigadegeneral José Píriz. Auf 6572 beziffert Píriz die Zahl der allein bis Ende September 2002 Aufgegriffenen, die vor allem aus Marokko und von südlich der Sahara stammten. Schlepper bringen die meist männlichen Einwanderer von kleinen Häfen Mauretaniens, Marokkos oder der Westsahara zu den Kanaren. Vor den Küsten Lanzarotes, Fuerteventuras und Gran Canarias werden die meisten dieser Boat-People aufgefischt. Vergleichsweise wenige sind es, die in »Pateras«, kleinen Fischerbooten, an der Küste Teneriffas landen. Doch auch deren Zahl ist steigend, und so hat man nach langen Streitereien entschieden, auf der Insel ein Flüchtlingszentrum zu errichten. Ein altes Gefängnis in der Inselhauptstadt Santa Cruz hatten Vertreter des spanischen Innenministeriums dafür ins Visier genommen. Doch gegen diesen Plan liefen Anwohner und Gemeindevertreter Sturm. Man wollte die Illegalen nicht mitten in der Stadt haben. Nach sieben Monaten der Streitereien und öffentlichen Proteste stellte das Verteidigungsministerium ein Areal auf einem ehemaligen Militärgelände zur Verfügung, wo nun ein Zentrum für 250 Menschen gebaut wird. Selbstverständlich liegt das Areal außerhalb der Touristenzonen, Hauptforderung von Gemeinde und Regionalregierung. Afrikanische Immigranten sind auf den Kanaren unerwünscht, ergab eine aktuelle Umfrage des Soziologischen Forschungsinstituts (CIS). 58Prozent der Befragten sehen die illegale Einwanderung als das zentrale Problem der Kanaren an. Vorurteile sind weit verbreitet: Drogenhandel und Kriminalität würden zunehmen, glauben viele Inselbewohner. Doch die Realität sieht anders aus. Es gebe keine Anzeichen für einen Zunahme von Straftaten durch die illegale Einreise, sagt Polizeipräsident Agustín Díaz de Mera. Dennoch wird massiv aufgerüstet. Die »Guardia Civil« hat ihre Patrouillen ausgeweitet, und jüngst forderte die Regionalregierung der Kanaren Madrid auf, sich an den gestiegenen Ausgaben für die Sicherung der Grenzen zu beteiligen - durch Aufstockung der Polizei um bis zu 800 Beamte sowie neue Hubschrauber. Madrid steht diesen Wünschen nicht ablehnend gegenüber, passen sie doch perfekt zur übergeordneten Strategie, Spanien zum Vorkämpfer der Reduzierung der illegalen Einwanderung in der EU zu mausern. Eine neue, mit High Tech voll gestopfte Einsatzzentrale in der Meerenge von Gibraltar wurde dank Brüsseler Unterstützung kürzlich eingeweiht. Ceuta und Melilla, die beiden spanischen Enklaven in Marokko, sind bereits komplett eingezäunt und überwacht, jetzt soll auch das Schlupfloch Kanaren dichtgemacht werden. Laut einer Studie des Verteidigungsministeriums von Mitte November 2002 ist die illegale Einwanderung zu einer »ernsten Bedrohung der nationalen Sicherheit« geworden. Bis Ende September wurden landesweit 56348 illegale Einwanderer festgenommen, 12000 mehr als im gleichen Zeitraum des Jahres 2001. Doch auch die wenigen Immigranten, die durch das engere Überwachsungsnetz auf den Kanaren schlüpfen, haben kaum eine Chance unterzutauchen. Hinweise aus der Bevölkerung gehen bei den lokalen Polizeistationen laufend ein. Unweigerlich landen die Immigranten dann in Notunterkünften. Die sind weder auf die steigende Zahl der Aufgegriffenen eingerichtet, noch bieten sie den notwendigen Standard - etwa bei sanitären Einrichtungen - für deren Unterbringung, wie die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert. In ihrem Bericht »Die andere Seite der Kanarischen Inseln« wirft sie der spanischen Regierung inhumanes Verhalten vor. So betreuen auf Fuerteventura und Lanzarote allein Freiwillige und das Rote Kreuz die Immigranten. Sozialarbeiter und Dolmetscher seien genauso vorgesehen wie eine Betreuung Jugendlicher. Dies mahnte auch der kanarische Ombudsmann für Menschenrechte, Manuel Alcaide, jetzt an. Ob die fünf afrikanischen Jugendlichen von diesem Appell profitieren werden, steht zu bezweifeln. Geeignete Unterbringungsmöglichkeiten für Jugendliche sind auch auf Teneriffa nicht vorhanden.
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