Wahlversprechen als Missverständnis

Bundesweites Vorzeige-Projekt für Straßen-Kids steht vor dem Aus / Trotz Zusagen nun doch kein Geld

  • Martin Höxtermann, Freiburg
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Eigentlich hatte Dieter Salomon, grüner Oberbürgermeister der Stadt, noch im Wahlkampf versprochen, der nur auf Grundlage von Spenden und Sponsoren existierenden Einrichtung finanzielle Unterstützung und zwei Sozialarbeiterstellen zur Verfügung zu stellen. Uwe von Dücker, Leiter der »StraßenSchule«, erinnerte Salomon nach seiner erfolgreichen Wahl zum OB im Mai 2002 in einem Schreiben an seine Zusage. Doch dieser hält sein Wahlversprechen inzwischen für ein Missverständnis. »Im damaligen Gespräch habe ich Ihnen als Kandidat sicher nicht eine Zuordnung zweier Sozialarbeiterstellen zur Straßenschule zugesagt«, erklärte Salomon in seinem Antwortbrief. Auch ein beantragter Personal- und Sachkostenzuschuss in Höhe von jährlich 98800 Euro wurde abgelehnt. Stattdessen will die Stadt lediglich 10000 Euro zur Verfügung stellen - angesichts der »schlechten wirtschaftlichen Situation der Stadt« jedoch mit Sperrvermerk. Für die »Haltestelle«, die Zugang zu wohnungslosen Jugendlichen außerhalb der Institutionen ermöglicht und inzwischen bundesweit Nachahmer findet, könnten deshalb recht schnell die Lichter ausgehen. Zwar habe man sich in den vergangenen Jahren finanziell durchgeschlagen, zuletzt dank einer Kirchengemeinde, die sechs Monate lang die Miete in Höhe von 1500 Euro übernommen habe, berichtete von Dücker dem ND. Doch inzwischen seien die Ressourcen erschöpft, über Eigenmittel oder Rücklagen verfüge der Trägerverein nicht. Für die Betroffenen wäre eine Schließung eine Katastrophe. »Hier haben wir das Gefühl, als vollwertig angesehen zu werden. Wir haben schließlich den Laden mit aufgebaut. Es würde ein Stück von uns selbst kaputt gehen«, beschreibt »Straßenschülerin« Steffi die Situation. »Gerade jetzt, im Winter, ist es doch wichtig, einen Ort zum Aufwärmen zu haben, wo wir nicht vertrieben werden«, sagt Nora. Werktags zwischen 13 und 17 Uhr treffen sich bis zu 30 junge Obdachlose zwischen 15 und 35 Jahren in der »Haltestelle«, in der sie auch kochen, waschen und Musik hören können. »Hätte es so was schon vor ein paar Jahren gegeben, hätten wir in Freiburg weitaus weniger Tote in unseren Kreisen gehabt«, meint »Straßenschüler« Zippi. Trotz der Sympathiebekundungen des grünen OBs fühlt sich die Initiative vom Rathaus nicht ernst genommen. »Wir arbeiten mit Ausgegrenzten und werden selbst ausgegrenzt«, kritisiert von Dücker. In der Universitätsstadt lebten rund 400 Kinder und Jugendliche, die keine Schule besuchen. Dass viele von ihnen vom bestehenden Hilfeangebot keinen Gebrauch machen, hat man auch bei der Freiburger Stadtverwaltung bemerkt. »Es gibt eine wachsende Zahl wohnungsloser, junger Erwachsener, die lieber illegal in leerstehende Häuser, Neubauten oder unter Brücken schlafen«, berichtet Dieter Purschke vom Sozial- und Jugendamt. Deshalb sei in Freiburg eine »aufsuchende« Straßensozialarbeit notwendig, um diese Menschen zur Aufnahme von Hilfen zu motivieren. Zwei Straßensozialarbeiterstellen seien deshalb im kommenden Haushalt beantragt worden, haben jedoch angesichts des kommunalen Finanzlochs keine Chance auf Bewilligung. Ob sie ihre Aufgabe, junge Obdachlose zurück in die Hilfesysteme zu bringen, erfüllen würden, wäre ohnehin fraglich. »Denn die jungen Erwachsenen wollen sich nicht bevormunden und in die bestehende Bürokratie integrieren lassen, sondern träumen von einem selbst verwalteten Wohn- und Lebensraum, in dem sie langfristig mit ihren Hunden leben können«, berichtet von Dücker. Vorerst bleibt dies jedoch ein Wunschtraum, denn angesichts der städtischen Sparpolitik sei nicht einmal...

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