nd-aktuell.de / 02.01.2003 / Politik

900 Euro Selbstbeteiligung, Zahnarzt ganz aus eigener Tasche

Ver.di-Chef Bsirske: Radikaler Systemwechsel zur Zwei-Klassen-Medizin

In der Rürup-Kommission zur Reform der Sozialsysteme wird erwogen, für Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen eine Selbstbeteiligung an den Behandlungskosten einzuführen und die Kassenzuschüsse für Zahnbehandlungen ganz zu streichen.
Berlin (ND). Für die ambulante ärztliche Behandlung und für Medikamente solle es eine Selbstbeteiligung von 900 Euro pro Jahr für jeden Versicherten in der gesetzlichen Krankenversicherung geben, berichtete die »Bild«-Zeitung unter Berufung auf das Kommissionsmitglied Bernd Raffelhüschen. Kinder sollten davon ausgenommen werden. Die Kassenleistungen für Zahnbehandlungen müssten ab 2005 zunächst in jährlichen Schritten um zehn Prozent verringert und ab 2014 ganz gestrichen werden. Eine Sprecherin des Bundessozialministeriums wollte die Vorschläge nicht direkt kommentieren. Sie verwies aber auf die von Ministerin Ulla Schmidt (SPD) geplante Gesundheitsreform, die nicht die Ausgrenzung von Kassenleistungen vorsehe, sondern deren Optimierung. »Eine nachhaltige Reform der Sozialsysteme wird zwangsläufig eine höhere Selbstbeteiligung und die Streichung von Leistungen wie Zahnbehandlung und Zahnersatz vorsehen müssen«, sagte der Freiburger Finanzwissenschaftler Raffelhüschen der Zeitung. Durch die Maßnahmen könne der Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversicherung von derzeit durchschnittlich gut 14 Prozent des Bruttoeinkommens auf 12,4 Prozent gesenkt werden, hieß es. Danach würde der Beitragssatz bis 2055 auf 17,4 Prozent steigen. Ohne die nun erwogenen Schritte würden die Beiträge laut Raffelhüschen auf 25,7 Prozent klettern. Auch in einem internen Papier des Bundeskanzleramts, das vor zwei Wochen bekannt geworden war, war die Einführung von Selbstbeteiligungen bei gesetzlichen Krankenversicherungen angeregt worden. Das Sozialministerium wollte nicht direkt zu den Vorschlägen Stellung nehmen und verwies lediglich auf die von Ressortchefin Schmidt geplante Gesundheitsreform, deren Eckpunkte Ende Januar oder Anfang Februar vorgelegt werden. Die Rürup-Kommission sei dagegen beauftragt, bis zum Herbst Empfehlungen für längerfristige Reformen zu erarbeiten. Der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, warf der rot-grünen Bundesregierung vor, ihre Politik entspreche eher Positionen der FDP als denen der Gewerkschaften. Die Rürup-Kommission wolle für die Krankenversicherung einen radikalen »Systemwechsel in Richtung Zwei-Klassen-Medizin« vorschlagen. Dafür gebe es offenbar die Rückendeckung des Kanzleramtes. »Was derzeit läuft, ist alarmierend«, sagte der Gewerkschaftschef.