nd-aktuell.de / 19.01.1991 / Politik / Seite 3

Am Golf haben die Europäer den Frieden verloren

unserem Pariser Korrespondenten Dr. PETER KOLLEWE

„Keine Krisenstimmung , so die Botschaft, die am Pariser Sitz der 24-Staaten-Gruppe OECD, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, ausgegeben wurde. 2,5 Millionen Barrel, so ein Dringlichkeitsplan der Internationalen Energieagentur für den Kriegsfall, sollen den Mitgliedern täglich zur Verfügung stehen. Beruhigendes hört man auch seitens der EG, wo die Petrol-Reserven von Regierungen und Ölgesellschaften selbst bei vollem Konsum 100 Tage reichen sollen. „Wir sind besser als je zuvor auf einen Krieg vorbereitet“, meinte der für Energiefragen zuständige EG-Kommissar Cardoso.

Und auf den Frieden? Was wurde seitens der EG für den Frieden am Golf unternommen? Der wirtschaftliche und politische Riese Europa fand zu keiner gemeinsamen Sprache. Wie freute sich doch vor allem der deutsche Kanzler

noch im Frühjahr 1990 ob seines gemeinsam mit dem französischen Staatspräsidenten unternommenen Vorstoßes, der Wirtschafts- und Währungsunion die politische „Einigung“ des Kontinentes beizugeben. Dies schon vor 1992/93 unter Beweis stellen zu können, haben die zwölf Mitgliedsstaaten der EG nicht vermocht.

Gerade von dieser mächtigen „Gemeinschaft“ war eigentlich am ehesten eine entscheidende Initiative für eine friedliche Lösung am Golf zu erwarten gewesen. Wer weltpolitisch Stimme und Einfluß zu haben glaubt, darf nicht dem Konkurrenten und/oder Partner das Handlungsfeld überlassen. Abgesehen von den politischen Anstrengungen Frankreichs konnten die USA unter aller Augen systematisch und unbehindert ihren Krieg planen, vorbereiten und in die Tat umsetzen, ohne daß die Repräsentanten von 300 Millionen Menschen zumindest ihre Stimme

erhoben. Ein zweiter und wegen seiner weltpolitischen Tragweite vielleicht noch wichtigerer Grund für ein europäisches Friedensengagement: Nie zuvor seit dem zweiten Weltkrieg war die Supermacht Sowjetunion so schwach, faktisch durch ihre inneren Probleme paralysiert, also kein Widerpart mehr für Washington.

Mechanisch wurde seit Beginn ? der Kuweitkrise die allgemeine Forderung nach Rückzug der Irakis usw wiederholt. Und um Gottes willen bei niemandem ins Fettnäpfchen zu treten, sprach sich die EG „darüber hinaus“ für die Lösung der anderen Nahost-Probleme und eine internationale Konferenz aus. Seitens der Gemeinschaft ist kein nennenswerter Versuch für eine diplomatische Entkrampfung unternommen worden. Kurz vor Toresschluß hatte sich dann die luxemburgisch-italienisch-niederländische Außenminister-Troika zusammengefunden. Auf den Weg in Richtung Bagdad indessen

machte sie sich nicht. Und Frankreichs Außenminister Dumas hielt sich, vielleicht auch schon resignierend, von der EG-Ministertagung zu Wochenbeginn fern und ließ damit die letzte, im Sicherheitsrat vorgetragene Friedensinitiative seines Landes versanden.

Das Fazit kann eigentlich nur eine Frage sein: Was ist eine Union wert, die sich, wenn es hart auf hart kommt, mit dem Satz „Jeder ist sich selbst der nächste“ selbst zerbricht? Vielleicht führt die Golf krise zur allgemeinen Erkenntnis, daß Partnerschaft und Konkurrenz nur dann miteinander vereinbar sind, wenn Souveränität statt Unterwürfigkeit, Selbstbewußtsein statt dem „Haben-wir-es-auch-allenrecht-gemacht-Denken“ obsiegen. Dann bekommt man auch die komplizierte Dialektik zwischen nationalen und Gemeinschaftsinteressen in den Griff. In Sachen Frieden am Golf blieb man diesen Beweis schuldig.