nd-aktuell.de / 19.01.1991 / Kommentare / Seite 10

Fallbeispiel Maunz

-Eine Episode im Februar 1960 machte mich erstmals auf solche .JSachverhalte an westdeutschen Hochschulen aufmerksam. An der Gedenkfeier der Ludwig-Maximilian-Universität München für die Geschwister Scholl und ihre Gefährten hatte Professor Dr. Theodor Maunz als Vertreter der Bayerischen Staatsregierung teilgenommen. Der Rechtswissenschaftler Maunz hatte 1943 – im Jahr der Ermordung von Sophie und Hans Scholl – in der Schrift „Gestalt und Recht der Polizei“ einmal mehr eine Rechtfertigung faschisti-

sehen Terrors geliefert: „Der Auftrag des Führers hingegen ist schlechthin das Kernstück des geltenden Rechtssystems und seinem innersten Wesen verbunden. Daher wird sich an den Zusammenklang des Führerauftrages mit der gesamten rechtlichen Ordnung der Gegenwart keine Auseinandersetzung mehr knüpfen können.“

Maunz war seit 1937 Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht sowie bis 1945 Dekan, Prorektor bzw Senatsmitglied an der Universität Freiburg i. Br. Als Hochschullehrer und Referent im NS-Rechtswahrerbund, als Autor von Lehrbüchern, Monographien und Aufsätzen in Sammelwerken und Zeitschriften wie „Deutsches Recht“, „Deutsche Verwaltung“ und „Deutsche Juristen-Zeitung“ gehörte er zum Kern nazistischer Staats- und Rechtswissenschaftler zwischen 1933 und 1945. Er ließ kaum etwas aus, was für das barbarische Herrschaftssystem wesentlich war.

Der willfährige Gehilfe des Unrechtssystems blieb nach 1945 auf seinem Lehrstuhl in Freiburg und wurde 1952 an die Universität München berufen. Die CSU befand ihn 1957 vorzüglich geeignet, als Staatsminister für Unterricht und Kultus in der von ihr geführten bayerischen Landesregierung zu wirken. Vorbehalte und Proteste wurden beiseite geschoben. 1960/61 präsidierte er der Ständigen Konferenz der Kultusminister. Diese beschloß u. a., herausgefordert durch eine Welle von antisemitischen und nazistischen Ausschreitungen 1959/60, „Maßnahmen zur Behandlung der jüngsten Vergangenheit im Geschichts- und gemeinschaftskundlichen Unterricht in den Schulen“. Ein Präsident Maunz bot die Gewähr, daß dabei weder der Nazifaschismus noch die Restauration einer fundamentalen Analyse und Kritik unterworfen wurde.

Als schließlich im Juli 1964 sein Rücktritt erzwungen wurde, offenbarte er in einer Stellungnahme den Grad seiner Einsicht nach drei Jahrzehnten. Er habe vor der Berufung zum Kultusminister den Ministerpräsidenten Dr. Hanns Seidel (CSU) auf seine Veröffentlichungen zwischen 1933 und 1945 hingewiesen. Dieser habe ihn und die CSU-Fraktion davon unterrichtet, daß keine politischen Bedenken bestehen. Das Fazit von Maunz: „Als Hochschullehrer habe ich mich seinerzeit bemüht, die in Geltung gewesenen Rechtssätze und die damals bestandenen Ansichten zu beschreiben, wie es meiner Berufsaufgabe entsprach.“ ~*~ “~

Diese Sichtweise genügte den bundesdeutschen Anforderungen an einen Ordinarius der Rechtswissenschaft und an einen Beamten in seiner Verläßlichkeit gegenüber der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Maunz blieb weiterhin Professor an der Universität München. Im Auschwitzprozeß 1965 zitierte Verteidiger Dr. Aschenauer zugunsten der angeklagten Mörder aus Schriften der

NS-Rechtswissenschaftler, darunter von Maunz.

Bezüglich der Rechtswissenschaft der BRD resümierte I. Müller, daß die Exilierten vor der Tür blieben und im Ausland habilierte Außenseiter wie Wolfgang Abendroth oder Franz Ludwig Neumann keine Chance auf einen rechtswissenschaftlichen Lehrstuhl hatten: „All die anderen, die die nationalsozialistische Rechtsordnung mitgeformt hatten, kehrten dagegen auf ihre Lehrstühle zurück und prägten die herrschende Meinung in den fünfziger Jahren wie schon in den Dreißigern und Vierzigern.“ Fügen wir hinzu, daß Schüler dieser Ordinarien und insbesondere die des namhaftesten faschistischen Rechtsdenkers, Carl Schmitt, bis heute in hohem Maße Theorie und Praxis des Rechts beeinflussen und gestalten.