nd-aktuell.de / 07.03.1991 / Politik / Seite 4

Strom der Flüchtlinge aus Albanien reißt nicht ab

Brindisi/Belgrad (AFP/ADN).

Ohne Unterbrechung strömen Flüchtlinge aus Albanien in die Nachbarländer. Am Mittwochabend trafen rund 3 000 Menschen an Bord des Schiffes „Tirana“ im süditalienischen Brindisi ein. Sie durften jedoch zunächst nicht an Land gehen. Ein weiteres Schiff mit tausenden Flüchtlingen wurde in der Nacht zum Donnerstag erwartet. Bereits am Dienstag und in der Nacht zum Mittwoch waren mehr als 1 600 Menschen auf dem Seeweg in Italien eingetroffen.

Zehn Albaner, darunter ein Soldat, flohen über die streng bewachte Grenze nach Griechenland. Die Flucht von über 1 000 Albanern serbischer und montenegrinischer Nationalität wurde laut Tanjug von Grenzposten verhindert.

Vor den Botschaften in Tirana versammelten sich am Mittwoch erneut rund 3 000 Personen. Sie

waren Gerüchten gefolgt, wonach alle Ausreisewilligen Visa erhalten sollten. Die Polizei trieb die Menge mit Warnschüssen auseinander.

Tirana hat die Emigranten zum Bleiben aufgefordert. „Die Ungeduld dieser Bürger, auf Biegen und Brechen ins Ausland zu reisen, kann ein derartiges Benehmen wie den Angriff und die Inbesitznahme von Schiffen nicht rechtfertigen“, betonte die Regierung. Die Flüchtlingswelle könnte die Wahlen von Ende März behindern. Die Führung will sich nach eigenen Angaben um eine „organisierte wirtschaftliche Emigration“ bemühen. Wer im Ausland arbeiten möchte, soll von einer Sonderstelle registriert werden.

Am heutigen Donnerstag will sich eine Abordnung der Internationalen Helsinki-Föderation in Albanien über die Lage der Menschenrechte informieren.