Amerikakritisches TV?

Von Peter Hoff

  • Lesedauer: 4 Min.
In Berlin, in der Kleinen Alexanderstraße, gleich neben dem Karl-Liebknecht-Haus, hat sich mehr als ein Jahrzehnt ein Graffito erhalten; eine letzte Botschaft aus der schönen Zeit, als wir noch glaubten, es sei ein politischer Wandel hier in Deutschland möglich. Das heißt, als dieser Spruch an die Wand gemalt wurde, war diese Hoffnung bereits weitgehend zerstoben. Denn der Text an der Wand verkündet mit deutlicher Resignation vor der Entwicklung, die sich damals vollzogen hatte: »Das Chaos ist aufgebraucht/ es war die schönste Zeit«. Wer wollte dem widersprechen: die Zeit, wenn die alten Institutionen und Ansichten ins Wanken geraten und noch keine neuen installiert sind, Zeiten der Machtlosigkeit also, sind die schönsten. Opportunismus ist unmöglich, weil er keinen Gewinn verspricht. Niemand weiß, wer letztlich Recht behält. Jede Meinung wird erst einmal respektiert, weil niemand ihr mit dem Recht des Alles-besser-Wissenden entgegentreten kann. Einem solchen Chaos begegnen wir seit einigen Wochen in unseren Fernsehprogrammen. Es lohnt plötzlich wieder, die Politmagazine zu schauen. Bei Report und Panorama, bei Frontal 21 und ZDF-Reporter endet die Sichtweite nicht an den Parteiengrenzen. Selbst der sonst so behäbige »Weltspiegel« am frühen Sonntagabend versieht seine systemkonformen Korrespondentenberichte mit kritischen Überleitungen. Journalisten mit eigenen Ansichten kommen inzwischen ab und an zu Wort. Das Chaos ist nicht unbegrenzt, wahrhaftig nicht, aber die traditionelle Ordnung zumindest scheint gestört. Das zeigt sich vor allem daran, dass Amerika nicht mehr unwidersprochen das Reich des Guten ist (wenn auch der Irak das des Bösen bleibt). Mag Bundeskanzler Schröders Aufkündigung der uneingeschränkten Solidarität gegenüber dem großen Bruderland jenseits des Ozeans im Kriegsfall gegen den Irak auch wahltaktische Gründe gehabt haben - er hat zumindest zur Verunsicherung der öffentlichen Meinung beigetragen. Und dass er vor gar nicht langer Zeit darin noch den Auftakt zum Untergang des Abendlandes gesehen hat, daran möchte jetzt nicht einmal mehr der strammste CDU-Kreuzritter erinnert werden. Denn wenn die vordem als falsch denunzierte Meinung urplötzlich zur vorherrschenden geworden ist, möchte keiner mehr als Vertreter der Gegenmeinung dastehen. An Massendemonstrationen gegen einen drohenden Krieg kommt auch das Fernsehen nicht ganz vorbei. Sendungen, aktuell ins Programm genommen, verweisen auf ökonomische Hintergründe der Bush-Politik. Der geplante und logistisch bereits vorbereitete Krieg in der Kosten-Nutzen-Rechnung - das ist neu! Die amerikanische Regierung - eine Ansammlung von Lobbyisten der Ölindustrie? Schön, das war bekannt, aber jetzt wird es auch im Fernsehen ausgesprochen und erhält damit die höheren Weihen des Tatsächlichen. Die US-Außenpolitik, gesteuert von jeweils aktuellen politökonomischen Interessen und nicht zimperlich, seit einem halben Jahrhundert geübt in Geheimdienstaktionen, die auch demokratische Regierungen stürzen und Diktaturen installieren? Nein, auch das ist keine neue Erkenntnis, aber die Fakten und Namen der Entmachteten und Ermordeten, von Mossadegh über Lumumba bis Allende waren verdrängt, vergessen, weggeschwemmt vom Strom immer neuer Nachrichten. Jetzt wieder in Erinnerung gerufen, geben sie aktuellen Vorgängen einen politischen Hintergrund, der nicht ins verordnete Geschichtsbild passt. Das ist die eine Seite der aktuellen Mediennachrichten. Die andere, das sind die emotionslos vorgetragenen Korrespondentenberichte, die den Zynismus der sich im alleinigen Besitz des Rechts und der Wahrheit glaubenden Politiker unkommentiert übermitteln. Der »Verteidigungsminister« Rumsfeld schließe den Einsatz von Nuklearwaffen im Irakkrieg nicht aus, heißt es dann, besonders nicht bei unterirdischen Zielen. Noch immer wird von »Militärschlägen« gesprochen, wo es doch um die Planung von Völkermord geht. Denn »gezielte« Schläge mit Massenvernichtungswaffen sind unmöglich. Das wiederum bestätigen die anderen Berichte, die es jetzt erfreulicherweise im Fernsehen ab und an zu sehen gibt. Und die wir uns ansehen sollten. Schon, damit keiner hinterher behaupten kann, nicht informiert gewesen zu sein. Wenn erst der Krieg tobt, werden wir nichts mehr erfahren. Dann ist das Chaos in der öffentlichen Meinungsbildung vorbei, die Meinung wieder formiert, dann sind wir wieder uneingeschränkt solidarisch und verschließen die Augen, zumindest im Fernsehen. Jetzt, durch das Fernsehen informiert, können wir vielleicht noch etwas dagegen tun! Und sollten es tun!
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