Die Welt nicht von oben

Manfred Jendryschik wird heute 60 Jahre alt

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: ca. 2.5 Min.
Es war die Zeit, da waren die Gedichtbände noch in Leinen gebunden, schmal, in Hochformat, und sie kosteten fünf Mark. Fünf DDR-Mark. Jendryschik - das war durchaus ein Name damals. Fürs Jungautoren-Foto in der Lyrik-Anthologie »Aufforderung zum Frühlingsbeginn« (was wir alles per fröhlichem Befehl für möglich hielten!) hatte er sich 1970 in einer nackten Mauerecke fotografieren lassen. Andere dagegen vor ihren Büchern (Tragelehn) oder vor Dorfdachfirsten (Eisenhuth) oder in Denkmalnischen (Laabs). Manfred Jendryschik beim hässlichen Stein. Vermeidung aller Pose? Nur nichts Lyrisches, obwohl es um Lyrik geht? Bitte kein Idyll? Der 1943 in Dessau Geborene - Germanist, Kunstgeschichtler, Lektor im Mitteldeutschen Verlag Halle/Saale, in den 90er Jahren Kulturdezernent in der Saalestadt - liebte in seinen Gedichten (»Die Ebene«, 1980) den kräftigen Ton, der aus sinnlicher Erfahrung von Arbeit und Lust an geschichtlichem Werden erwuchs. Er hat Kurzgeschichten geschrieben (»Glas und Ahorn«, »Die Fackel und der Bart«, »Jo, mitten im Paradies«), Romane und Essays, war Herausgeber (»Bettina pflückt wilde Narzissen«), und in besonderer Erinnerung ist mir von 1981 der Miniaturen-Band »Der feurige Gaukler auf dem Eis«: Parabeln vom liebenden, leidenden, werkenden Menschen. »Die aphoristische Geschichte« heißt die kürzeste dieser metaphorischen Geschliffenheiten: »Die Welt? Die ist überschaubar, sagte Latauschke und wies von dem Turm hinab. Allerdings: versteht man sie, von hier oben?« Leben als gesellschaftlicher Einstieg. Der lyrische Ort, wie gesagt: die Ebene. Graufläche. »Ich hab/ ein zwei Hoffnungen, ziemlich/ allgemeine.« Wer die Gedichte und speziell diese Miniaturen heute liest, weiß mehr um den einstigen, ganz selbstverständlichen Duktus einer Zustimmung, erfährt von einer Sehnsucht nach Freibeuterschaft - in den Gesetzesbanden der politischen Notwendigkeit: Jendryschik dichtet vom Sozialismus, klar; seine kräftige Stimme, sein zupackendes, manchmal muskelspielendes Pathos singen sich aber oft in einen seltsamen Widerspruch zu dem, was man einen großen Anspruch nennen könnte: »Hier werde ich mir die Jahre einpassen, sie mich«, heißt es unbewegt im Gedicht »Die neue Wohnung«. In einem anderen Vers: »... ja, die Arbeit, die Kinder/ Fahrer Friseuse Schlosser, wir/ habens doch zu was gebracht, oder?« Ein Leben reiche doch, »ein Land, eine, verschrumpelnde, Zuversicht«. Reißender Ton, Aufschwung im Rhythmus, auf Widerhaken im Lesefluss ausgelegte eigenwillige Sprache - Jendryschik lenkt aber sein Dichten, Erzählen und Reportieren doch immer wieder, fast unmerklich und aus dem Beschwören großer literarischer und historischer Geister heraus, auf die Langeweile der Alltäglichkeit, auf die Abenteuerlosigkeit des Seins. Aber genau darin sieht er den Sinn und das Sinnliche harter, entbehrungsvoller, ja: blutiger Geschichte (»weg mit den Utopien/ sagt Uljanow, die Kugel schon im Leib«). Die Natur des menschlichen Lebens giert, zerstört, verjagt - bis (sozialistische?) Kultur endlich garantiert: Es geschieht nichts Böses mehr. Die ewige Wiederholbarkeit des immer Gleichen als der eigentliche soziale Frieden. Jendryschiks lyrischer, erzählerischer Heroismus ist jener des Heldenfreien, seine Hoffnung, einst, im flachen kleinen Land: »Hier werde ich eines Tages abkippen, im geteilten Blick den Laternenmast. Vielleicht murmelts dann aus mir was wie Mehr Licht. Nichts ist unmöglich«. Gewesen. Wenn man die Gedichte nun liest: Das Triste erscheint stärker als früher wie etwas Wünschenswertes. Wie so oft: Wenn etwas nicht mehr gelebt we...

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