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Welcher Krieg ist ungerechter?

Bellizisten und Bellizismus - Wolf Wetzel erinnert an einen Gesinnungswandel

  • Thomas Klein
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit der Auflösung des kommunistischen Ostblocks brach nicht nur das militärische »Gleichgewicht des Schreckens« in sich zusammen. Der triumphalen Ankündigung des Westens, zum Kapitalismus gebe es keine Alternative mehr, folgte unmittelbar Krieg. - Dies ist die Ausgangsthese des neuen Buches von Wolf Wetzel. Bei seiner Zeitreise durch die jüngere deutsche Geschichte ist der engagierte Publizist nun in die jüngste Vergangenheit und unmittelbare Gegenwart vorgedrungen. Nach dem Buch über die Achtundsechziger und die militanten Kämpfer der 70er bis 90er Jahre »Die Hunde bellen... von A bis (R)Z« widmet sich der einstige Autor der autonomen L.U.P.U.S.-Gruppe jetzt der globalen Krieg-oder-Frieden-Problematik. Dankenswerterweise gemahnt er an Vorkommnisse, Einstellungen und Entscheidungen, an die so mancher, heute als Friedensbote gefeierte deutsche Politiker wohl nicht mehr gern erinnert wird. So begrüßenswert auch die gegenwärtige Position der Bundesregierung ist, aus dem Gedächtnis entschwinden sollten nicht vormalige, recht bellizistische Äußerungen und Handlungen von z.T. eben der gleichen Personage. Als einen Wendepunkt im internationalen wie nationalen Geschehen betrachtet Wetzel den von den US-Alliierten geführten Krieg gegen Irak im Jahr 1991. Parallel zu den außenpolitisch bedeutsamen Veränderungen beschreibt er die deutliche Verschiebung der Akzente in der Politik der Bundesrepublik. Denn »mit der Implosion der DDR verschoben sich auch im Inneren Deutschlands die Grenzen. Die nationalsozialistische Vergangenheit hörte auf, ein Kriegs(eintritts)hindernis zu sein. Sie konvertierte zur Kriegsbegründung. Mit dem Verlangen nach außenpolitischer Normalität wurde der Ruf "Nie wieder Krieg" vom Takt der Kriegstrommel abgelöst«. Was folgt sind verschiedene Stationen auf dem Weg hin zu einer offiziellerseits propagandistisch als »Normalisierung« oder »Übernahmen von internationaler Verantwortung« bezeichneten Politik. Die Veränderungen werden in dem Buch stets den Positionierungen und Wendungen linker Strömungen gegenübergestellt. Dabei kann sich Wetzel im Kapitel »Deutsche Bellizisten suchen Anschluss« manch spöttische Formulierung nicht verkneifen. Dem rechten Verlangen nach einer deutschen Geschichtsrevision folgte demnach Anfang der neunziger Jahre ein »nacheilend und komplementär linkes Verlangen nach Fälschungen der oppositionellen Geschichte«. Die westdeutsche Linke im Blick resümiert Wetzel, dass im Zuge der Diskussion um Krieg und Frieden die zu Stolpersteinen gewordenen, ehemaligen Erkenntnisse aus dem Weg geräumt werden mussten. Um auf dem »langen Marsch« von der eigenen antifaschistischen Geschichte letztlich bei der Kriegsbefürwortung eines »stinknormalen imperialistischen Krieges« zu landen. Eine Stärke des Buches ist es, die inneren Widersprüche linker oder zumindest sich selbst als links bezeichnender Kreise herauszuarbeiten. Ein Manko ist, dass eine wichtige »Station« bei der Einbindung ehemals oppositioneller Kreise und dem Abrücken von der Losung »Nie wieder Krieg« fehlt: die so genannte Bosnien-Debatte. Immerhin war diese entscheidend, um Teile des grünen und friedensbewegten Milieus in einen Herrschaftsdiskurs einzubinden, bei dem die Lehre aus Auschwitz eine ganz eigene Wendung erhielt. Der Sprung von 1991 (Krieg gegen Irak) zu 1999 (Kosovo) lässt damit eine wichtige Wegmarke aus. Stattdessen gibt es einige Exkurse. Ein Kapitel zu den Ereignissen in Genua. Oder zu der Frage »Welche Männer braucht das Land?« Diese »Nebenaspekte« zu beleuchten, passen ebenso in die Zeitreise wie das Eingehen auf die Rolle der Grünen. Wetzels Einschätzung zum Stellenwert der Anschläge vom 11. September 2001 bricht mit dem auch im linken Diskurs gebräuchlichen Interpretationsmuster. Die oft betonte Besonderheit, das Einmalige, Unvergleichliche stellt er in Abrede. Seiner Ansicht nach unterscheiden sich die Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon weder in Hinblick auf die terroristische Logik noch hinsichtlich der Zahl ziviler Opfer bei anderen kriegerischen Akten. Das Besondere dort sei vielmehr die Tatsache, dass sie auf dem Territorium der USA stattfanden. »Nicht die friedliebende und Freiheit spendende Verfasstheit der USA wurde dabei erschüttert, sondern der feste Glaube an die eigene militärische Unverwundbarkeit.« Entsprechend habe der als Antwort auf die Anschläge vom 11. September ausgerufene Krieg nicht das Geringste mit einem »Kampf gegen den Terror« zu tun. Schließlich hätten weder die USA noch die jetzt an ihrer Seite kämpfenden Alliierten in den letzten 50 Jahren Krieg geführt, um Terror und Gewalt zu bekämpfen. An dieser wie an einigen anderen Stellen im Buch wird deutlich, warum es den Titel »Krieg ist Frieden« trägt. Wetzel geht es nicht nur um eine Darstellung der Veränderungen gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, sondern auch um eine Auseinandersetzung mit der dabei gespielten »Begleitmusik«. In diesem Zusammenhang bekommt auch die in linken Publikationen wie »bahamas«,»jungle world« und in »konkret« sich äußernde Fraktion der so genannten Antideutschen mit ihrer Kriegsbefürwortung ihr Fett weg: Entgegen ihren Beteuerungen gehe es ihnen weder um Palästina noch um Israel, geschweige denn um eine eigene politische Praxis. Vielmehr seien wir augenblicklich Zeitzeugen »eines Abgangs mit einem lauten Krach, mit wüsten Beschimpfungen und der Androhung, wiederzukommen - mit ganz vielen großen und starken Freunden«. In diesem Zusammenhang könne der Ruf nach den US-Alliierten ganz unpolitisch verstanden werden - »als Geste von Halbstarken«. Wäre so auch der neuerliche Angriff der CDU/CSU gegen Kanzler Schröders und seines Vize Joschka Fischers (endlich?) definitives »Nein« zum Irak-Krieg zu bewerten?
Wolf Wetzel: Krieg ist Frieden. Unrast Verlag, Münster 2002. 192S., br., 14 Euro
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