Mit wem koaliert Ariel Scharon künftig?

Der Sieger der heutigen Wahlen scheint festzustehen

  • Peter Schäfer, Jerusalem
  • Lesedauer: ca. 4.0 Min.

Der Sieger steht fest. Bei der heutigen Wahl zur 16. Knesset gewinnt die Likud-Partei. Der derzeitige Ministerpräsident Ariel Scharon bleibt also im Amt.

Likud wird jüngsten Umfragen zufolge 31 von 120 Parlamentssitzen gewinnen und damit vom Präsidenten den Auftrag zur Bildung der Regierungskoalition erhalten. Von der jüngsten Korruptionsaffäre einmal abgesehen, ist Scharons Partei im Moment ausnahmsweise sehr stabil. Der Konflikt mit Außenminister Benjamin Netanjahu ist beigelegt. Der politische Hauptgegner, die Arbeitspartei mit ihrem Kandidaten Amram Mitzna, liegt dagegen weit abgeschlagen bei vorausberechneten 19 Mandaten, Tendenz fallend. »Wenn wir diese Wahlen nicht gewinnen, dann eben die nächsten«, beruhigte Mitzna an seine Gefolgschaft. »Als Oppositionsführer werde ich täglich am Sturz der Regierung arbeiten.« Er gab zu, dass er es nicht geschafft habe, »den genetischen Code des Wählers zu entschlüsseln, dessen Lage so schlecht ist, der aber trotzdem weiter Likud wählt«. Scharon kann sich also beruhigt zurücklehnen. Trotzdem wird in Israel über den Wahlausgang wild spekuliert. Scharon hätte am liebsten wieder eine große Koalition mit der Arbeitspartei. Deren Austritt aus der Regierung Ende Oktober 2002 hatte die vorgezogenen Wahlen überhaupt erst nötig gemacht. Offizieller Anlass des Ausstiegs war ein Streit um den Haushalt 2003, worin den jüdischen Siedlern in den besetzten Gebieten zu viel Geld zugebilligt wurde. Bis dahin hatte die Arbeitspartei - insbesondere Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser und Außenminister Schimon Peres - die Panzerpolitik Scharons gegen die Palästinenser gestützt. Die Partei hatte ihr Profil längst verloren. Nach dem Ausstieg aus der Regierung sollte der zum neuen Vorsitzenden gewählte Amram Mitzna in weniger als drei Monaten das friedenspolitische Bild der Arbeitspartei restaurieren. Noch wenige Tage vor den Wahlen machte die Partei aber vor allem durch ihre internen Querelen Schlagzeilen. Auch in ihren Reihen wird gerade ein Korruptionssumpf trocken gelegt. Jedenfalls stellte Mitzna eines klar: Eine große Koalition wird es mit ihm nicht geben. Mal sehen, ob er Wort hält. Scharon könnte die Regierung auch mit den Ultra-Orthodoxen bilden. Deren stärkste Formation, die Schas-Partei, stellte bisher die drittgrößte Fraktion im Parlament. Laut Umfragen kommt sie dieses Mal mit 13 Mandaten auf Platz vier. Scharon hat aber die Nase voll von Schas, die ein ums andere Mal die Regierung gefährden, wenn sie bei anstehenden Budgetkürzungen für religiöse Schulen oder kinderreiche Familien drohen, die Koalition sofort zu verlassen. Zudem will sich die Mehrheit der Israelis von den Religiösen nicht den Restaurantbesuch oder die Autofahrt am Schabat verbieten lassen. Auseinandersetzungen zwischen den Fundamentalisten kommen dazu: Vor einer Woche brannte die Kampagnenzentrale der Vereinigten Tora-Partei in Jerusalem ab. Neben der Synagoge von Rabbi Josef Eliashiv, dem Führer der litauischen Ultra-Orthodoxen, wurde ein gesprühtes Hakenkreuz entdeckt. Die Partei kennt die Vandalen, will aber keine Namen nennen. Eine Sekte drischt auf die Anhänger der anderen ein. Sittenwächter verprügeln orthodoxe Frauen, die es wagen, ihre Ehemänner zu verlassen. Überdies sind bei einem Regierungsbündnis mit Religiösen und Ultra-Rechten diplomatische und wirtschaftliche Probleme zu befürchten. Ungeachtet dessen gewinnen laut Umfragen rechte Parteien wie Likud und der religiöse Block heute zusammen 66 Mandate. Liberale und die arabischen Parteien kommen demnach nur auf 37 Sitze. Die weltlichen Liberalen zeichneten sich bisher ohnehin durch Abstimmungsträgheit aus. Vielleicht raffen sie sich dieses Mal zum Urnengang auf. Abzuwarten bleibt auch, wie die 16 Prozent Unentschiedenen abstimmen. Und die Stimmabgabe der arabischen Israelis könnte ebenfalls von der Norm abweichen. Eine Million Israelis sind arabischer Herkunft. Die arabischen Parteien erhielten bei Wahlen aber stets weniger als zehn Prozent der Stimmen. Kürzlich sollten sie wegen »anti-israelischer Äußerungen« sogar verboten werden, was am Obersten Gerichtshof scheiterte. Aus Solidarität könnten sie dieses Mal mehr Stimmen als sonst bekommen. »Er will Scharon, ist sich aber nicht sicher, ob der unsere Probleme lösen kann«, beschrieb »Haaretz«-Kommentator Yoel Marcus den typischen israelischen Wähler. »Er hasst die Arbeitspartei, will sie aber als Partner in der nächsten Regierung. Er möchte das Verbot der arabischen Parteien, will aber auch die extreme Rechte nicht in der Regierung. Ihm stehen die Haredis (Ultra-Orthodoxe) bis hier, er weiß aber auch nicht genau, ob er Schinui als zweitgrößte Partei will.« Schinui als zweitgrößte Fraktion? Damit hätte bis vor kurzem noch niemand gerechnet. Der Mann am Schinui-Ruder, Josef (Tommy) Lapid, nimmt in Sicherheitsfragen eine Haltung zwischen Likud und Arbeitspartei ein: Ja zum palästinensischen Staat, aber Annexion der großen Siedlungsblöcke, keine Verhandlungen mit Yasser Arafat, kein Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge! Lapids Äußerungen sind meist zweideutig, und so richtig weiß in Israel niemand, wofür er steht. Mazal Mualem nannte Lapid in der »Haaretz« einen »Mizrahim-Hasser«. Mizrahim sind die Juden aus arabischen Staaten, die in Israel oft als Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Sie wählen vor allem rechts und religiös, also Schas. So ist bei Schinui nur eines sicher: Nieder mit den Ultra-Orthodoxen! Um die 16 Mandate erhalten die Anti-Religiösen nach den letzten Umfragen. Das würde die Partei, die bisher nur sechs Sitze in der Knesset hielt, zur drittgrößten Fraktion erheben. Allerdings will bisher keine andere Partei etwas mit ihr zu tun haben. Vor allem junge Wähler, die von den Großen enttäuscht sind, würden aber für sie stimmen. Um eine stabile Regierung bilden zu können, muss Likud heute mindestens auf 35 Sitze kommen. Die letzten Umfragen zeigen aber weniger an. Likud-Minister Roni Milo prophezeite deshalb am Freitag, dass mit den nächsten ...

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