Linke braucht andere Ethik des Regierens

In Porto Alegre debattierte das Netzwerk Transform Alternativen/Johan Galtung für USA-Boykott

  • Erhard Crome, Porto Alegre
  • Lesedauer: 4 Min.
Porto Alegre - das sind auch intensive Debatte über Alternativen zu neoliberaler Globalisierung und imperialem Militarismus. Das neue Europäische Netzwerk für alternatives Denken und politischen Dialog trug am Wochenende mit drei Seminaren zum Diskurs bei.
Bereits das erste Seminar über politische Alternativen war hochrangig besetzt. Fausto Bertinotti, Europaabgeordneter und Vorsitzender der italienischen Partei der Kommunistischen Neugeburt, verwies auf das »italienische Paradoxon«, das darin bestehe, dass die Rechte stark wurde, als die moderate Linke regierte. Die Falle, die der Neoliberalismus aufgestellt hat, besteht darin, den kapitalistischen Globalisierungsprozess als »Modernisierung« zu interpretieren. Die Mitte-Links-Kräfte meinten, diesen moderieren zu können, während in Wahrheit dahinter eine internationale Bourgeoisie steht und die Kluft zwischen Arm und Reich weltweit immer größer wird. Das Moderieren ist gescheitert und die Mitte-Links-Regierung in Italien wurde abgewählt, wobei das Land sehr weit nach rechts rutschte, und Berlusconi kam wieder an die Macht. Das Netzwerk Transform - das sind Espaces Marx aus Frankreich, Fundación de Investigaciones Marxistas (Spanien), Nicos Poulantzas Society (Griechenland), Transform Italia, Transform Österreich, das Centrum för marxistiska samhällsstudier (Schweden) und aus Deutschland das Magazin »Sozialismus« sowie die Rosa-Luxemburg-Stiftung - ist außerordentlich am Dialog mit der lateinamerikanischen Linken interessiert, und so fanden die Ausführungen von Paulo Vieira von der Arbeiterpartei Brasiliens (PT) naturgemäß starke Beachtung. Vieira machte deutlich, dass die Wahl Lulas zum Präsidenten Brasiliens Ergebnis einer angestrengten politischen Arbeit der brasilianischen Linken seit über zwanzig Jahren ist. Wenn die Linke regiert, betonte er, braucht sie eine andere Ethik des Regierens als die Rechte gewöhnlich an den Tag legt. Die PT hat gesiegt, weil sie moralische Kriterien an politisches Handeln gelegt hat. Die darf sie beim Regieren nicht vergessen. Ihre Energien gewinnt die PT aus der Verbindung mit den sozialen Bewegungen und mit den Armen des Landes. Nur dann, wenn die Regierung das umzusetzen bestrebt ist, was die Zivilgesellschaft braucht und will, kann sie wirksame Politik machen. Die PDS-Vorsitzende Gabi Zimmer erinnerte daran, dass die Linke Europas nach wie vor unter dem Zusammenbruch des Staatssozialismus leidet. Sie hat sich in den Jahren seither noch nicht wieder erholt und weder zum Neoliberalismus noch zu »Dritten Wegen« der Sozialdemokratie ernsthafte Alternativen anzubieten. Es sei schon so, dass Wahlniederlagen von Mitte-Links-Parteien auch die linken Parteien mit in den Strudel reißen. Regierungsbeteiligungen, in Deutschland auch auf Länderebene, können kein Selbstzweck sein, sondern werden geschlossen, um in der fraglichen Legislaturperiode mehr linke Politik, mehr soziale Gerechtigkeit möglich zu machen. Zugleich jedoch sei es grundsätzlich falsch, mutwillig aus Regierungen wieder herauszugehen, nur um am Ende alte ideologische Muster wieder bestätigen zu wollen. Gustavo Cordas, Internationaler Sekretär des brasilianischen Gewerkschaftsverbandes CUT, wandte ein, stets die Rahmenbedingungen der Politik zu berücksichtigen. Die PT startet unter sehr schwierigen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen; so hat sie im brasilianischen Parlament nicht die Mehrheit. Der Kampf gegen den angekündigten Krieg der USA gegen Irak wurde in allen drei Veranstaltungen mit großer Sorge debattiert. Nicos Konstantopoulos, Vorsitzender der griechischen Partei Synaspismos, Michel Xifaras, Philosoph aus Paris, sowie Jaime Caisedo von der KP Kolumbiens schilderten die Wirkungen der Politik der USA in den unterschiedlichen Kontexten Europas, des Nahen und Mittleren Ostens sowie Lateinamerikas. Die Dringlichkeit von Alternativen betonte auch der international renommierte Friedensforscher Johan Galtung, wobei er Überlegungen auf drei Ebenen formulierte, um dieser Politik der USA entgegenzuwirken. Als erste Ebene bezeichnete er die zwischenstaatlichen Beziehungen. Angesichts der Tradition der BRD im Verhältnis zu den USA und zur NATO könne die Entscheidung Schröders gegen eine deutsche Kriegsbeteiligung nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die deutsche Friedensbewegung sollte eher Demonstrationen für die Unterstützung von Schröder machen, als an seiner Redlichkeit zu zweifeln. Die zweite Ebene ist für Galtung die der Zivilgesellschaft und der Nichtregierungsorganisationen. Das wirksamste Mittel gegen die USA-Politik sei ein weltweiter Boykott gegen USA-Produkte. Die großen Firmen in den USA hätten eine durchschnittliche Gewinnerwartung von etwa sechs Prozent. Bereits bei einem Umsatzeinbruch von etwa sechs Prozent gerieten die Firmen in die roten Zahlen. Dann werden sie bei der USA-Regierung vorstellig und fordern, etwas dagegen zu tun. Man müsse nur für die Zeit des Krieges auf Coca-Cola verzichten, nicht zu McDonalds essen gehen und keine US-amerikanischen Filme ansehen. Gegen das Apartheid-Regime in Südafrika oder gegen Frankreich, als Chirac noch Atombomben-Versuche durchführen ließ, hätten sich Boykotts als sehr wirksam erwiesen. Als dritte Ebene, so Galtung, gilt es, einen »menschlichen Schild« für Irak zu errichten. Die USA würden nicht davor zurückschrecken, auch Atomwaffen einzusetzen. Wenn tausend Europäer und US-Amerikaner in Irak sind, werden die Kriegsstrategen diese Waffen wohl dennoch einsetzen, wenn hunderttausend da sind, werden sie sich das nicht getrauen. Deshalb ist es sehr wichtig, so Galtung, wenn möglichst viele Kriegsgegner sich aufmachen, einige Zeit in Irak zu leben. In der Diskussion sagte ein Zuhörer, Bush wolle der »Imperator der Globalisierung« sein. Eben das gilt es zu verhindern.
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