»Was ich in Palästina sah«

Aus Gabrio Mucchis Fotos spricht das Leid der Menschen

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 2 Min.
Zwei Schüsse haben einen Krankenwagen getroffen. Die Nahaufnahme zeigt Einschusslöcher über dem Schriftzug »Ambulance«. Faserige Risse ziehen sich von den Löchern über das grüne Glas. Ein leichter Druck mit dem Finger, so scheint es, würde genügen, um die Scheibe zusammenbrechen zu lassen. Die Aussagekraft dieses Fotos ist gewaltig: Wo Waffen sprechen, liegt die Menschlichkeit in Trümmern. Ostern 2002 reiste der Fotograf Gabrio Mucchi mit einer Gruppe von Italienern, Schweizern, Spaniern und Franzosen Europäern nach Jerusalem und Ramallah, um Kontakte zwischen Israelis und Palästinensern zu knüpfen und für eine friedliche Lösung des Konflikts in der Region zu demonstrieren. »Action for Peace« hieß das Motto der Exkursion, an der Parlamentarier, Künstler und Journalisten teilnahmen. »Eines unserer Anliegen war es, über die internationalen Medien auf das tägliche Drama der Zivilbevölkerung in einem Krieg aufmerksam zu machen, in dem beide Seiten zu weit gegangen sind«, sagt der 27-jährige Mucchi, der als »Media-Aktivist« unter dem Namen »Brioga« auch verschiedene Aktionen der globalisierungskritischen Bewegung künstlerisch unterstützt. 20 beeindruckende Fotos, die auf der Reise in den Nahen Osten entstanden, sind derzeit in der Galerie der Buchhandlung Herschel in Berlin-Mitte zu sehen. In fast allen von ihnen stehen Menschen im Mittelpunkt. Palästinenser in Jeans und westlicher Kleidung warten an einem Checkpoint geduldig auf ihre Abfertigung, um sich außerhalb des besetzten Gebiets mit notwendigsten Lebensmitteln zu versorgen. Ein kleiner Junge schaut über die Stacheldrahtabsperrung hinweg in die Gesichter schwer bewaffneter Soldaten, die hinter ihren Panzern Position bezogen haben. Ein israelisches Kind klammert sich an die Hand seines Vaters, über dessen Schulter ein Maschinengewehr gehängt ist. Die Augen der Fotografierten scheinen den Kontakt zum Blick des Betrachters zu suchen: Es sind warme Augen, traurige Augen. Aber Mucchi hat auch Menschen fotografiert, deren Augenlicht für immer ausgelöscht wurde: In einem blutverschmierten weißen Plastesack entdeckt man entsetzt die Leiche eines Mannes. Ohne Partei für eine der verfeindeten Seiten zu ergreifen, zeigen die eindrucksvollen Bilder das Leben, Leiden und Sterben einzelner Menschen und rufen durch ihre intensive Wirkung indirekt dazu auf, Stellung gegen diesen und jeden anderen Krieg zu beziehen. Der bedeutende Maler Gabriele Mucchi, Vater des Fotografen, schrieb 1987 über seinen damals zwölfjährigen Sohn, dass er »vielleicht irgendeine, heute noch nicht klar erkennbare künstlerische oder literarische Begabung« besitze. Dass er mit dieser Einschätzung Recht behielt, beweisen die ausgestellten Arbeiten.
»Was ich in Palästina sah«. - Fotoausstellung in der Buchhandlung Herschel, Anklamer Str. 38, Berlin-Mitte. Bis 15. März, Mo. bis Fr., 10 bis 19 Uhr.
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