nd-aktuell.de / 01.06.1991 / Politik / Seite 5

Diese wunderbaren Weiber

Henryk Goldber

Natürlich, Shakespeare findet im Hintergrund statt und die erotische Wirrnis am Rande; natürlich, bald vier Stunden und zwei Pausen sind zuviel; natürlich, alle Rollen weiblich zu besetzen ist ein Effekt, der schwerlich zwingend zu belegen geht. Ach, laßt mich doch zufrieden mit diesem Krimskrams. Die Spiellust, die Vitalität dieses Haufens losgelassener Weiber läßt derlei Einreden verkommen zu Meditationen eines Eunuchen über die rechte Weise, die Lust zu üben; da schleicht das bleiche Gespenst des deutschen Theater-Missionars mürrisch von der Bühne. Denn dieses Ensemble ist wunderbar.

Shakespeares erotische Verwechslungskomödie, von der sicher nur anzunehmen ist, daß nichts als sicher anzunehmen ist in der nonchalanten Übertragung von B.K.Tragelehn, läßt Martin Meltke zum großen Auftrieb wunderbarer Schauspielerei geraten. Die Verwirrung der Gefühle, die Verunsicherung des Seins ereignet sich kaum in der Geschichte; die eigentliche Story des Briten emanzipiert sich erst recht spät von dem opulenten Spiel zur Kenntlichkeit. Was da umgeht, ist eine Art von heiterer Schwermut, aufgehoben

nicht in den erzählbaren Vorgängen, vielmehr in ihrer spielerischen Präsentation. Es ist, als habe ein Ensemble melancholischer Clowns unter Tschechows Birken sich gelagert, auf ihre Weise und mit ihrer Melancholie, die immer noch einen Witz weiß, wenn nichts mehr gewußt wird.

Meltke gibt seinen Frauen unendlich viel Raum zum Spielen, der geistige. Raum der Aufführung ist ihr Spiel-Raum, nicht der Text, der den Anlaß liefert. Er läßt mit beiläufiger Nonchalance spielen, gänzlich unforciert, und er organisiert einen souveränen, nie demonstrierten Umgang mit der Trivialität, die in einem jeden Augenblick dieser vier Stunden ihren hohen artifiziellen Standard mühelos behauptet.

Anne-Else Paetzold ist Herr Tobias Rülps, der sieht auf schlechten Bühnen immer aus wie die weiland KGD zum weiland Betriebsvergnügen. Die Paetzold ist glänzend; ein melancholischer Zigarrenraucher, der vielleicht einmal Schornsteinfeger war oder Philosoph, ein Mensch, der so unendlich viel weiß, daß er sich nunmehr gänzlich unabgelenkt auf das Rauchen und Trinken zu konzentrieren vermag,

das ist seine Konklusion aus den unendlich langweiligen Zeitläuften, so unendlich gelangweilt spricht sie auch, die Frau Rülps. „Oller Suffkopp“ sagt sie zu dem Narren, der heißt Lotte Loebinger. Ein altersweiser Clochard, ein Philosoph wie der Rülps, nur halt durch mindere Stellung gezwungen, sich mit der Welt zum Zwecke gelegentlichen Broterwerbs zu befassen. Eine Verbeugung außer der Reihe für die Schauspielerin Lotte Loebinger. Ursula Werner als Maria, mit ihrer drallen Laszivität, ihrer Erotik aus der Gesindeküche gleichsam die Soubrette im Ensemble der Melancholiker. Und Ruth Reinecke als Malvolio; ein Knäckebrot fressender Buchhalter mit dem Drang zum Höheren, dem übel aufgemischt wird. Irgendwann muß Schluß sein, sie waren alle wunderbar, alle unsere Mädels.

Und vielleicht hat das auch der anwesende Regierende Bürgermeister bemerkt, der – obschon er ja in der CDU sein soll – doch ein ganz intelligenter Mann ist. Und schickt diesen dummen Möchtegern-Abwicklern des Hauses diese wunderbaren Weiber auf den Hals.

HENRYK GOLDBERG