nd-aktuell.de / 13.07.1991 / Kommentare / Seite 2

Gorbatschow klopft ans Tor zur Weltwirtschaft

unserem Moskauer Korrespondenten KLAUS JOACHIM HERRMANN

Der kleine Unterschied macht es eben: Der Weltwirtschaftsgipfel nächste Woche in London, so gestern der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow vor der Presse, sei halt kein Treffen der Finanzminister, sondern eines der Staatschefs. Ergo gehe es ihm nicht um konkrete finanzielle Hilfen. Gorbatschow kommt nicht als Bittsteller. Er will Interesse, will Verständnis für die Notwendigkeit und neue Formen der wirtschaftlichen Kooperation mit seinem Land wecken. Das soll der UdSSR das Tor in die Weltwirtschaft öffnen.

Präsident Gorbatschow scheint den Großen Sieben noch immer der sicherste Garant für Stabilität in der Sowjetunion. Am Erfolg seiner Reformen müssen sie einfach interessiert sein, denn - so Sicherheitsratsmitglied Primakow - andernfalls werde es „entweder eine autoritäre Macht oder eine Desintegra-

tion der Sowjetunion mit allen entsprechenden Folgen geben.“ Eine Wiederholung der jugoslawischen Entwicklung aber dürfte nicht nur die europäische Ordnung bedrohen. Die Destabilisierung der UdSSR, gefördert durch anhaltenden wirtschaftlichen Niedergang, birgt die Gefahr unabsehbarer und von allen wohl unerwünschter Folgen. Deshalb ist Kooperation angeraten, und nicht wenige Geschäftsleute setzen trotz aller Unbilden und Unwägbarkeiten des sowjetischen Alltags bereits darauf.

Und Gorbatschow hat im Verein mit dem Parlament seine Hausaufgaben gemacht: Die relative Stabilisierung der UdSSR nach der Formel 9+1, die Schritte zum neuen Unionsvertrag, eine Aussöhnung in manchen Sachfragen mit dem Erzrivalen Jelzin und der Hinweis von Premier Pawlow auf eine zwar la-

bile, aber doch erkennbare Beruhigung der Wirtschaft sind seine Argumente. Hinzu kommt ein Programm, das - auch von einem gemeinsamen Projekt des sowjetischen Ökonomen Jawlinskij mit Experten der Harvard-Universität inspiriert - zu neuen Reformufern weisen dürfte. Andere Stichworte heißen Privatisierung, Unternehmensfreiheit, Investitionsschutz, .Bankkonvertierbarkeit des Rubel oder auch Reisefreiheit.

Viele Sorgenfalten bleiben. Denn der Unionsvertrag ist noch längst nicht durch, die Wirtschaft längst nicht über den Berg. Interessant, daß der Absprung prominenter, inzwischen nun zum Teil ehemaliger KPdSU-Mitglieder in den von« Schewardnadse als „gesunde Opposition“ bezeichneten neuen demokratischen Block hier eher als Stärkung, denn als Schwächung

des Präsidenten gedeutet wurde.

Der wird also in London seinen vom Präsidium des Obersten Sowjet gebilligten Plan für die politischen und ökonomischen Reformen in der Sowjetunion und zur Einbeziehung des Landes in die Weltwirtschaft erläutern. Dann soll nach seinen Vorstellungen eine Arbeitsgruppe entstehen, die über das weitere Vorgehen berät. Vielleicht stellt hier das Treffen ebenso Weichen wie das geplante zweistündige Arbeitsfrühstück mit US-Präsident Bush für die Anfahrt des längst verspäteten Zuges zum Moskauer Gipfel. Die Botschaft der beiden Außenminister klang da durchaus nach Optimismus. Der hängt allerdings vom Vertrag über die Begrenzung der strategischen Rüstungen ab und weniger vom G-7-Verlauf.