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  • Politik
  • Nach dem ersten parlamentarischen Jahr im Landtag von Sachsen-Anhalt

PDS – eine Minderheit, die für Mehrheiten handelt

  • Lesedauer: 5 Min.

Das erste Jahr parlamentarischer Arbeit im Landtag von Sachsen-Anhalt ist vorüber. Es zeigte vor allem, wie tief die „alte DDR“ auch in denen steckt, die nun ganz neu siein wollen. Die „Demokratie in den Farben der CDU/FDP-Koalition“ hat sich zu einer ausgewachsenen Demokratur entwickelt: Eine demokratisch gewählte Mehrheit macht von ihren Rechten undemokratischen Gebrauch. Die bürgerlich-parlamentarische Demokratie hat in ihrer langen Geschichte zahlreiche Formen entwickelt. In Sachsen-Anhalt bringen sie jedoch wenig Nutzen, weil es an parlamentarischem Geist mangelt.

„Die PDS“, schrieb Dr. Petra Sitte, Fraktionsvorsitzende der PDS im Landtag von Sachsen-Anhalt, „ist angetreten als konsequente und konstruktive Opposition. Bloßes Verneinen und unfruchtbares Kritisieren ist nicht unsere Art und Weise, an die Probleme heranzugehen. Wir wollen Verfehltes aufzeigen, um das Richtige im Interesse der Bürger zu fordern. Als Minderheit setzen wir uns für die Belange von Mehrheiten ein. Wir glauben daher nicht, was wir von den Regierenden hören, sondern nur das, was wir auch sehen. So oft wie möglich im Wahlkreis zu arbeiten, war und ist unser Credo.“

Für die PDS-Abgeordneten hat der Wahlkreis deshalb eine besondere Bedeutung, weil sie eine Verpflichtung als Abgeordnete darin

sehen, Informationen an die Wähler weiterzugeben und ihre Anregungen entgegenzunehmen. Das enthält auch, den Wählern Zusammenhänge, vor allem der Landespolitik, darzulegen und vor Ort Substanz für Anträge und Anfragen zu gewinnen, um die Wählerinteressen im Parlament tatsächlich zu vertreten. Über 160 Sprechstunden in den Wahlkreisen weisen die PDS-Abgeordneten aus. 1 500 Besucher hatten diese Sprechstunden. Dazu kommen mehr als 100 Bürgerforen, Hearings und fachspezifische Treffen sowie 83 gemeinsame Veranstaltungen mit dem PDS-Landesvorstand. Im Landkreis Jessen wurde zudem eine öffentliche Fraktionssitzung durchgeführt.

„Wir wollen uns das Gefühl für die Bedürfnisse der Menschen erhalten und entwickeln“, heißt es in einem Papier der Fraktion, und das sagt vieles aus über die Einstellung der PDS-Parlamentarier zu den Wählern und ihren Interessen.

Deshalb, so betont die Fraktion, „sehen wir uns als Gegner eines innerdeutschen sozialen Feldzugs, der auf dem Rücken der Bürger ausgetragen wird.“ Dieser Satz enthält eine schwere Kritik an der Landesregierung, einst Gies, jetzt Münch. Denn diese Regierung sagt ja, wie einst Bundeskanzler Kohl, es würde den Bürgern jetzt immer besser gehen. Dem setzt die PDS-Fraktion entgegen, daß es den Menschen wirklich immer besser geht - unter der Voraussetzung je-

doch, daß sie nicht Kurzarbeiter oder arbeitslos sind, nicht Studenten oder Alleinerziehende, nicht Rentner oder ungewollt Schwangere, nicht behindert, lesbisch, homosexuell oder gar rot. Für diese Gruppen nämlich gilt die regierungsamtliche Behauptung nicht oder nur in hohem Maße eingeschränkt. Das hat die Landtagsfraktion der PDS in mehr als 150 Publikationen und 32 Flugblättern auch im einzelnen nachgewiesen.

Durch die Regierungsbehauptung vom Bessergehen haben sich CDU und FDP allerdings selbst unter schweren Erfolgsdruck gesetzt, dem sie vor allem deshalb nicht gerecht werden und nicht gerecht werden können, weil sie durch ihre geistige Monotonie und eifernde Parteilichkeit, durch die muffige Enge ihrer Parteizentralen die aufatmende Demokratie des Herbstes 1989 und der Runden Tische zum Absterben gebracht haben. Wenn sie nichts gelernt haben - den sorgfältig ausgeklügelten Mechanismus von Parlament, Kabinett und Parteieninteressen haben sie sehr rasch aus Bonn übernommen. Wie auch die Fähigkeit, demokratisches Handeln durch abgestandene Sprüche zu ersetzen. Die Affäre um den CDU-Ministerpräsidenten Gies hat deutlicher als alles andere gezeigt, wie die Kanzlerpartei in Sachsen-Anhalt nicht Wählerinteressen, sondern die Befriedigung persönlichen Ehrgeizes und politi-

scher Machtbedürfnisse an die erste Stelle setzt.

Und wie das bei mangelnder eigener Kompetenz ist, sucht man sich einen Sündenbock, um vom eigenen Versagen abzulenken. Das ist - wie könnte es bei der Phantasielosigkeit der regierenden Mehrheit anders sein - die PDS, die man als den Schuldigen an „40 Jahren Mißwirtschaft“ darzustellen versucht, nicht zuletzt, um von den immer mehr zutage tretenden Gebrechen der Marktwirtschaft abzulenken.

Ein Beispiel, wie man es macht, ist das Verhalten zu den 53 Anträgen der PDS, die sich u.a. mit der“ Treuhandverwaltung, der sozialen Absicherung von Lehrern, dem Erlaß von Altschulden, dem Landwirtschaf tsanpassungsgesetz, der Übertragung von Grund und Boden an Wohnungsunternehmen und dem privaten Rundfunk befaßten. Nur sieben wurden angenommen, 37 dagegen glatt abgeschmettert. Manchmal zog man es auch ?vor, sich die Vorschläge der PDS anzueignen und sich „gereinigt“ ans eigne blaugelbe Banner zu heften. Natürlich beherrscht man in Magdeburg auch, wie in 12 Fällen gezeigt, das Verfahren der Überweisung an die Ausschüsse, um die Behandlung zu verzögern, das Anliegen zu verwässern oder ganz versanden zu lassen. Eine Partei, die so konsequent in ihrer Arbeit behindert wird, muß auf die Regie-

rungsmehrheit schon sehr beunruhigend wirken. Und tatsächlich hat die PDS-Fraktion der Regierung mit 28 Kleinen Anfragen im Landtag viel Unruhe gebracht; denn in diesen Anfragen- ging es immer wieder um brennende Interessen der Bürger Sachsen-Anhalts, wie auch in den landesweiten Konferenzen zur Bildung, zur Agrarpolitik, zur Sozialpolitik, zu TJmweltund Energiefragen, zu Arbeitsmarkt und Wirtschaft, zur Konvmunalpolitik, zur Landesverfassung und zur Mittelstandspolitik. Die Breite der Thematik zeigt, daß die PDS versucht, an den Problemen des Landes dranzubleiben.

„Der Ernst und die Schärfe, mit denen man uns attackiert, lassen nur den Schluß zu, daß man sich vor unserer Gegenwart und noch mehr vor unserer Zukunft fürchtet“, schreibt Dr. Petra Sitte. „Denn es ist nicht unsere Aufgabe, die Gefahren der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie zu leugnen, sondern uns mit den Bürgern vor diesen Gefahren zu schützen. Karrierefördernd ist ein Bekenntnis zu uns wahrlich nicht. Dennoch kann man mit der PDS und allen ehrlichen Demokraten viel gewinnen: Aufrechten Gang und Selbstbestimmung.“ Und sie setzt hinzu: „Regierende, die ihre Opposition ausgrenzen, verdummen sich selbst.“

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