nd-aktuell.de / 18.07.1991 / Kultur / Seite 6

Geliebt von vielen Millionen

Willi Schwabe (1915-1991)

Willi Schwabe ist tot. Brechts Berliner Ensemble hat er mitbegründet. Hier stand er mehr als 40 Jahre auf der Bühne, zuerst im Deutsehen Theater, dann im Theater am , * Schiffbauerdamm. Er hat nie eine der begehrten und ? berühmten ? Hauptrollen gespielt, und doch war er aus den Aufführungen dieses weltbekannten Theaters nicht wegzudenken.

Es waren die genau gezeichneten Nebenfiguren, die er zu seinem „Fach“ gewählt hatte. Gestische Präzision war seine Tugend. Die Rollengestalten, -die er darstellte, prägten sich dem Zuschauer ein, auch wenn sie nur in einer Szene beschäftigt waren, wie sein Polizeikommissar in der „Mutter“ von Brecht, der das ärmliche Zimmer der Arbeiterin durchsucht, ein schlechtbezählter und schlechtgelaunter Beamter, der seine Stellung auskostet;

Andere Rollen fallen mir ein: sein Butler in Sean O'Caseys „Purpurstaub“, der Ratsdiener in „Coriolan“, ein Landsknecht in „Mutter Courage“, der Dramaturg im „Messingkauf“

Willi Schwabe war ein Schauspieler von starker individueller Eigenart, ein „denkender Schauspieler“ zudem, wie ihn Brecht sich wünschte. Das Theater blieb auch seine küristlerischie-' Heimat;^obgleich er seinen Ruhm dem Fernsehen verdankte. 1955 öffnete er zum ersten Mal für die damals noch wenigen Zuschauer seine „Rumpelkammer“. Die Sendung ist wohl inzwischen die älteste Sendereihe des deutschen Fernsehens überhaupt.

Willi Schwabe glaubte man die Kommentare zu den uralten Filmausschnitten, die er da einmal im Monat vorstellte. Er war „der Mann, der dabeigewesen war“, wie seine Kommentatorenrolle in Joachim Herz' Inszenierung von Brecht/Weills Oper „Mahagonny“ hieß, die er in den 70er Jahren an der Komischen Oper in Berlin spielte: sachlich, ironisch und charmant. Er beherrschte den fiktiven Dialog mit dem Zuschauer, eine“ Grundanforderung des Fernsehens. Er sprach mit dem Zuschauer, brachte seine Kenntnisse unaufdringlich an den Mann, mit einem Lächeln die „Zufälle“ kommentierend, die ihm den einen oder

Foto: Klaus Winkler

anderen Gegenstand in die Hände spielten, der ihm als Überleitung zum nächsten Filmausschnitt dienen sollte.

An den Rezitator Willi Schwabe muß noch erinnert werden. Diese Kunst, der sich nur wenige Schauspieler noch gewachsen fühlen, war sein Metier. So sprach er die naiven Verse von Wilhelm Busch und erinnerte an Erich Kästner, er sang auch Lieder von Friedrich Hollaender und Kurt Tucholsky, auch hier immer der lebenserfahrene Mann, der sich den-ironischen Blick leisten kann. Einiges von dieser Kunst ist auf Schallplatte bewahrt.

Vor einiger Zeit hatte Willi Schwabe mit dem Fahrrad einen Unfall erlitten. Die Hoffnung, daß er seine Arbeit wieder aufnehmen könnte, erfüllte sich nicht. Seine Rumpelkammer hatte er an Friedrich Schönfelder übergeben müssen. Nun erfuhren wir vom Tod des 76jährigen.

Es bleibt die Erinnerung an eine große Persönlichkeit und an einen bescheidenen Menschen.