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  • Politik
  • In Kolumbien wird der Prozeß gegen das Medellin-Kartell vorbereitet

Identität der Richter bleibt geheim

  • LEO BURGHARDT, Havanna
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Kolumbianer gehen allmählich wieder zur Tagesordnung über. Der Gefühlsmischmasch aus Aufregung, Freude und Zweifel hat sich gelegt. Die seit 1886 gültige Verfassung wurde zu Grabe getragen und nach 149tägiger Debatte durch eine neue ersetzt, die grundlegende demokratische Veränderungen verspricht. Mit 397 Artikeln ist sie wahrscheinlich die längste der Welt. Einer von ihnen untersagt die Auslieferung kolumbianischer Staatsbürger...

So gingen Pablo Escobar und 1 sein Hofstaat vom Medellin-Kartell auf ein Angebot Präsident Gavirias ein. Er hatte ihnen Strafnachlaß um die Hälfte in Aussicht gestellt, wenn sie sich freiwillig stellen und noch mal ein Drittel, wenn sie komplikationslos mit der Justiz zusammenarbeiten und ein einziges ihrer Verbrechen eingestehen. Die Bosse, von Polizeistreitkräften und Geheimdienst unerbittlich gejagt, und durch eine internationale Übereinkunft von den meisten ihrer Konten abgenabelt, gingen auf den Deal ein. Schlimmstenfalls drohen ihnen zehn Jahre Knast und da keiner von ihnen älter als 42 ist, hoffen sie wohl, doch noch einen geruhsamen Lebensabend im Kreise ihrer Lieben verbringen zu können, ganz im Gegensatz zu den zigtausend ihrer Opfer.

Escobar wurde in das eigens für ihn eingerichtete Gefängnis von Envigado eingeflogen, einer Stadt, in der er seine Kindheit verbracht hat und als Wohltäter gilt. Aber dem Frieden scheint er doch nicht zu trauen. Die Haftanstalt ist kein Fünf-Steme-Knast, wie das von einigen behauptet wird. Der Löwenanteil der 200 000-Dollar-Investition, die Escobar in den Ausbau steckte, dient allein Sicherheitsvorkehrungen: Das Ziegeldach mit einer zentimeterdicken Stahlunterlage, die Elektrozäune, die scharfen Hunde, die Warnanlagen, ebenso wie die handverlesenen Wächter. Denn Escobar und seine Leute haben mächtige Feinde, die auf Rache sinnen: die Polizei und Geheimpolizei,, das Konkurrenzkartell von Cali und die amerikanische Drogenbehörde DEA.

Einer von Escobars Adjutanten gestand, daß sie alle unter dem Noriega-Syndrom leiden würden. Der panamaische Ex-Diktator war ja vergleichsweise ein kleiner Fisch und dennoch setzte Washington seine Armee in Marsch, um seiner habhaft zu werden. Eine abenteuerliche Hypothese, die jedoch täglich neue Nahrung erhält, da die USA sich mit der kolumbianischen Regelung des Falls nicht zufrieden geben. Für die USA ist mit der Kapitulation Escobars überhaupt

nichts gelöst, und sie befürchten wohl zu Recht, daß andere in die Lücken springen werden. Sie wollen mit dem Drogenhandel Schluß machen, aber den Kolumbianern ging es und geht es um die Beendigung des Narko-Terrorismus und das Trockenlegen einer der gefährlichsten Quellen der Gewalt. Und da ist die Kaltstellung des Medellin-Kartells tatsächlich erst mal ein Riesenerfolg. Die Kolumbianer empfinden es ohnehin als eine Ungerechtigkeit, daß die USA fast ausschließlich die Produzenten attackieren und längst nicht so massiv ihren Markt.

Escobar hat acht Tage lang ausgesagt. Sein Prozeß wird trotzdem nur kurz sein. Eine Legion von Technikern ist schon dabei, die elektronischen Bedingungen herzurichten. Escobar und seine Verteidiger werden sich in einem Raum des Gefängnisses vor einer feststehenden Kamera befinden, der Richter, dessen Identität geheimgehalten und dessen Stimme elektronisch verzerrt wird, geht unterdessen in einer anderen kolumbianischen Stadt ans Werk. Die Zeugen werden von den Kameras nur von hinten und verschwommen gefilmt, ihre Stimmen ebenfalls unkenntlich gemacht. In den USA soll der Prozeß live übertragen werden.

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