nd-aktuell.de / 19.07.1991 / Kommentare / Seite 8

Die Trobadora Irmtraud Morgner Sirene

zwischen den Postulaten und der Lebenswirklichkeit beschreiben. 1968 hatte sie bereits vier Bücher verfaßt. Die ersten beiden wurden nicht beanstandet, weil sie sowohl literarischen Konventionen wie öffentlicher Politik folgten; das dritte, „Rumba auf einen Herbst“, durfte nicht veröffentlicht werden; ihr-viertes, „Hochzeit in Konstantinopel“, erschien in eben diesem Jahr und wurde mit verständnislosem Kopfschütteln, mit Spott oder gar nicht wahrgenommen. Daneben ein zählbares Häuflein Entzückter. Die meisten hielten es wohl eher für eine belanglose Spielerei denn den Einzug einer literarischen Größe, deren Thema wie Ausdrucksweise neu waren: Irmtraud Morgner hatte begonnen, mit Phantastik und Gelächter den „Einzug der Frau in die Historie“ zu beschreiben. Das war so dreist wie un-erhört; ich erinnere mich an

die herablassenden Bemerkungen mancher Kollegen im Schriftstellerverband. 1974, als die „Trobadora“ erschien, bellten die getroffenen Hunde schon bissiger; wer sich wirklich mit dem Buch befaßt hatte, ahnte wohl den Sprengstoff. Zugunsten jener Akademiemitglieder, die entschieden, wer den begehrten Heinrich-Mann-Preis bekam, will ich annehmen, sie wollten Morgner mit dem anderen Kollegen nicht auf eine Stufe stellen, als sie 1975 den Preis teilten. Ich habe es jedenfalls als Beleidigung für Irmtraud Morgner empfunden. Wie mag sie selbst es aufgenommen haben? Ihre Maßstäbe waren streng, besonders die, die sie an sich selbst legte. Da läßt sich leicht sagen: Vielleicht waren sie zu streng, wäre sie nachgiebiger mit sich gewesen, könnte sie heute noch leben. Konnte sie denn anders? Unsere jahrhundertealte Auffassung von Kunst belohnt