nd-aktuell.de / 19.07.1991 / Politik / Seite 13

Minimal Play im improvisierten Spannungsfeld

Sie kommt aus der Tiefe des nach strengem Muster gekachelten Bühnenraumes. Die tänzelnden Schritte enden in der Drehung zur Wand, an der sie herausfordernd das Becken vorschiebt, um sogleich zum Stuhl zu schreiten, die Ledersachen abzulegen und als schüchterne Ballettelevin zu agieren. Mitten in diese Handlung hinein torkelt ein abgeschlaffter Macho ins Geviert, dessen Rede, die Farce eines Schicksals umreißend, jäh beginnt und endet. Diese Handlung wiederum wird überlas gert vom johlenden Sprung eines bemützten Proleten mit kriminellem Einschlag auf den Deckel eines Gitterverschlages. Währenddessen bereitet eine zur Operndiva verklärte Puffmutter Arien sin-

gend ihre verzweifelten Schläge an die Wand vor. Wenig später wirft ein John-Travolta-Typ verführerische Blicke ins Publikum; sein Versuch, eine Zigarette zu entzünden, endet im hilflosen Hüsteln, das er wiederum mit gekonnten Schwüngen des seidenen Bademantels unterbricht. Dazu erklingt ein in seiner Beiläufigkeit an Satire erinnerndes Thema auf dem Piano in einer schier endlosen Dacapo-Schleife.

Das musikalische Material (Musik: Christian Kesten) gibt das Grundmuster der Inszenierung vor: Sämtliche Handlungen sind simpel, stehen scheinbar in keinem Verhältnis zur nachfolgenden oder parallel laufenden und bekommen dennoch Intensität

und Signifikanz durch die ständige Wiederholung. Zunehmend spannungsvoll wird die raum-zeitliche Verschiebung der kuriosen Handlungsstränge zueinander - vergleichbar den Taktverschiebungen in der Minimal Music oder den musikalischen Experimenten von John Cage.

Welch deutliche theatralische Zeichen somit gesetzt werden, wird dem Zuschauer im zweiten Teil klar, wenn die Darsteller ihre Handlungen zu variieren und improvisieren beginnen. So ergeben sich aus vorher scheinbar beziehungslos zueinander stehenden Gesten und Sätzen Partnerbeziehungen und Konfliktsituationen - Spannungsmomente, die ebenso schnell entstehen, wechseln, sich überlagern und

vergehen - eine im Grunde alltägliche Erfahrung.

Ein interessantes Experiment, das von der Intensität im Spiel der Darsteller getragen wird. (Wolfram Bölzle, Friederike Frerichs, Norbert Ghafouri, Menga Huonder-Jenny, Jan Ivers). Ein konsequenter Regieansatz (Dieter Bitterli), der wohl kaum die großen Bühnen erobern wird. Und dennoch eine Aufführung, die eine immense Bereicherung der Berliner Theaterlandschaft bedeutet.