nd-aktuell.de / 19.07.1991 / Politik / Seite 14

Budissin 90

Zum schütz vor hitze und wind haben frauen laken in die fenster gehangen. Auf dem topfmarkt hör ich gemischtes gemurmel. Westöstliche und fernöstliche laute. Viel polnisch und noch mehr reichsdeutsch, ab und an sorbisch. Am Reichentor warten leichte mädchen auf den kommenden freund Et feind. Schöne erdfarbene gesichter rumänischer Roma und die blaßblonden hiesigen stehen da mit ihrer gier, ihrer bürde. Jeansuniformen beherrschen das bild. Menschen mit Sportschuhen und blechmarken an stelle der herzen, die zum sprang bereit sind. Alle platze derer, die gegangen, sind ausgefüllt. Hautnah recken sich häuser ins grau, trutzig zeigen sie lebensläufe, wie bestätigte Urkunden oder Urteilssprüche, Verurteilungen. Glockenläuten und Sirenengeheul hängen über der stadt, ersticken die schreie der gewalttäter. Im laden passt eine frau auf Zigeuner auf. An Polen wird nicht verkauft. Meiner Mutter schmeißt man die einkaufe vor die fuße. Wortlos verstummen die offengebliebenen fragen. Die kämpf platze des Dreißigjährigen Krieges sind verlassen. Heute pilgert man zum Gelben Elend. Zwischen der tat und dem grund ist weder atem noch geist. Zwischen dem tag und dem morgen steht der knast.

Was die Dichterin Roza DomaScyna (Jahrgang 1951) schreibt, ist deutsch noch nie veröffentlicht worden. Erst jetzt mit dem Band „Zaungucker“ (mit Grafiken von Karla Woisnitza, 96 Seiten, broschiert, 20 DM) aus Gerhard Wolfs Verlag Janus press können wir, die wir Sorbisch nicht gelernt haben, ihre poetische Welt entdecken.

Aufbegehren und Sehnsucht, ein klein wenig Pathos auch. Die Gedichte sind Selbstbehauptungen gegen die „Rollenspiele“, „maßnahmen“, die „Anpassung“, die „Ausgrenzung“. „Ich versuche, das meine zu bergen“ – wäre dies der Grund zum Schreiben? Immer wieder geht es um das Anderssein,

trotzig bringt die Autorin sorbische Regeln in die deutsche Rechtschreibung. Ein Zeichen.

Wir können noch nicht ermessen, wie viel die Deutschen den Sorben weggenommen haben – dieser Gedanke kam mir immer wieder beim Lesen – und was wir überhaupt einander antun in unserem begrenzten Leben. Die Gedichte von Roza DomaScyna sind von einer unheimlichen Genauigkeit, die ihr wohl selber auch Schmerzen bereitet haben muß. Man spürt, daß sie eine Bequemlichkeit aufgegeben und erfahren hat, wie Freiheit zur Einsamkeit werden kann.

IRMTRAUD GUTSCHKE