nd-aktuell.de / 09.08.1991 / Brandenburg / Seite 9

Hoffnungsvolle „Ehe“ mit dem größten Konkurrenten

(ND-Kimmel). Während Betriebe im Ostteil der Stadt derzeit reihenweise in die Knie gehen oder dazu gezwungen werden (siehe NARVA), wurden im Werk für Signal- und Sicherungstechnik Berlin (WSSB), heute mit dem Zusatz Verkehrstechnik GmbH, die Signale auf „Grün“ .gestellt. Am Donnerstag feierte man am Produktionsstandort Goeckesträße in Hohenschönhausen Richtfest. Hier entsteht durch Neu- und Umbau ein modernes Vorfertigungszentrum, das den Auftakt für ein umfangreiches 145-Millionen-Modernisierungsprogramm bildet. In dessen Verlauf wird die verstreute Produktion von fünf Standorten auf zwei konzentriert und in der Elsenstraße in Treptow ein moderner Montagebetrieb neugebaut.

Das Geld kommt vor allem aus dem Siemens-Konzern, von dessen Bereich Verkehrstechnik das Werk im Januar übernommen wurde. Wie vom Marketing-Chef, Manfred Sallmann, zu erfahren war, gibt es

aber auch eine Reihe lukrativer Aufträge von der Reichsbahn im Zusammenhang mit dem Ausbau des InterCity-Netzes. Im Großraum Berlin, beispielsweise auf der S-Bahnstrecke Potsdam-Wannsee, bieten sich dem Betrieb ebenfalls interessante (und einträgliche) Aufgaben. Und schließlich übernimmt er auch bei Straßenbahn und Bus die Ausstattung mit Bordinformationssystemen und Sicherungstechnik.

Während gegenwärtig traditionell noch die Reichsbahn der Hauptabnehmer des WSSB ist, sollen in Zukunft von Berlin aus Reichsbahn und Bundesbahn gleichermaßen mit Signaltechnik beliefert werden. Der Standort Braunschweig des Unternehmens dagegen wird für die flächendeckende Versorgung mit Weichenantrieben verantwortlich sein.

Der Osthandel, der in vergangenen Jahren bis zu 40 Prozent der Produktion sicherte, gäbe ebenfalls

durchaus Anlaß zu vorsichtigem Optimismus, so Export-Leiter Ottokar Jurtz. Zwar sei davon lediglich ein Zehntel übriggeblieben, aber Verbindungen bestehen nach wie vor in die CSFR, die UdSSR, nach Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Mit Polen laufen Verhandlungen über die Beteiligung am Ausbau der Eisenbahnverbindung Warschau-Berlin-Paris. Da in den meisten osteuropäischen Staaten die Sanierung und Erweiterung der Verkehrswege zur Diskussion steht, erhoffe man sich davon einiges für die Zukunft. Vor allem auch, da das WSSB jetzt mit dem ehemals größten Konkurrenten auf dem Markt partnerschaftlich verbunden ist.

Mit den geplanten etwa 150 Arbeitsplätzen wird der Standort in Hohenschönhausen gegenüber früheren Jahren noch ausgebaut, insgesamt allerdings war ein erheblicher Aderlaß unumgänglich. Von ehemals 2 740 Mitarbeitern wurde

im WSSB auf etwa 1 700 reduziert. Allerdings, so noch einmal Manfred Sallmann, kam man dabei ohne Entlassungen aus. So wurden aus der Transportabteilung und dem Werkzeugbau eigenständige GmbH gegründet, andere Werktätige gingen in Rente oder Vorruhestand. Die Produktpalette wurde von etwa 8 000 verschiedenartigen Erzeugnissen auf 3 500, ausschließlich der Sicherungstechnik zugehörige, abgespeckt.

Wem die „Ehe“ der ungleichen Partner ungewöhnlich erscheint, dem sei noch gesagt, daß das WSSB, neben den umfangreichen Ostkontakten, mit 90 Prozent Marktanteil im Irak über eine ansehnliche „Mitgift“ verfügt. Und da das internationale Wirtschaftsembargo nicht ewig bestehen wird, was offenbar auch dem neuen Partner ins Auge fiel, sind die Chancen des Betriebes und seiner Beschäftigten wesentlich besser als die anderer dahingeschiedener VEB.