nd-aktuell.de / 15.03.2003 / Politik

Die Mitverantwortung deutscher Firmen

Deutsch-irakische Kooperation ebnete Giftgasanlagen und -angriffen den Weg

Thomas Klein
Der Bericht des UNO-Sicherheitsrates machte es deutlich: Die vermeintliche oder tatsächliche Existenz biologischer und chemischer Waffen in Irak hat viel mit den deutsch-irakischen Beziehungen in der Vergangenheit zu tun.
Zu Beginn des Jahres sorgte die Meldung, dass rund 100 deutsche Firmen im irakischen Rüstungsbericht an den UNO-Sicherheitsrat genannt werden, für einiges Aufsehen. Der Bericht machte zum wiederholten Male deutlich, dass die viel diskutierte Frage einer vermeintlichen oder tatsächlichen Existenz biologischer und chemischer Waffen in Irak mit den früheren deutsch-irakischen Beziehungen eng verbunden ist. Als die 1994 im Norden Iraks erschossene deutsche Journalistin Lissy Schmidt Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre in Artikeln und Reportagen aus der Türkei und Irak die Verfolgung und Vertreibung der Kurden zur Sprache brachte, ließ sie immer wieder Betroffene zu Wort kommen: »Ich bin schon 30 Jahre Peschmerge. Wissen Sie, was das heißt?«, zitierte Lissy Schmidt einen Kurden. Und weiter: »Peschmerge heißt "Die dem Tod entgegen gehen." Ich fürchte mich nicht. Aber gegen chemische Waffen kann ich meine Frau und meine Kinder nicht mehr schützen. Wir können nichts mehr tun. Da muss die Weltöffentlichkeit eingreifen.« Doch die Weltöffentlichkeit nahm viele Jahre lang fast keine Notiz von den Ereignissen im Jahr 1988, als die irakische Luftwaffe im Zuge der so genannten Anfal-Offensive über einen langen Zeitraum hinweg immer wieder kurdische Dörfer und Städte bombardierte. Schlimmer noch: In den Jahren bis zum Beginn des Golfkriegs 1991 gingen zahlreiche heikle Rüstungsgeschäfte vor allem europäischer Firmen mit Irak über die Bühne. Der Tod mehrerer tausend Kurden war für deutsche Genehmigungsbehörden offenbar kein Grund, das Treiben der in die irakische B- und C-Waffenproduktion verstrickten Firmen zu unterbinden. Bereits im Frühjahr 1984 war die »New York Times« mit schweren Vorwürfen an die Öffentlichkeit gegangen. Dank der Lieferung von Laboranlagen und Chemikalien sei das Regime von Saddam Hussein in der Lage, Giftgas zu produzieren. Namentlich erwähnt wurden seinerzeit unter anderen die Firmen Karl Kolb und Pilot Plant aus Dreieich bei Frankfurt am Main. Die beschuldigten Firmen wiesen jedoch alle Vorwürfe zurück. Es sei auszuschließen, dass mit den von ihnen gelieferten Produkten Nervengas hergestellt werden könne. Auch die damalige Kohl-Genscher-Regierung widersprach: Nicht Giftgas-Anlagen, sondern Anlagen zur Herstellung von Pestiziden seien geliefert worden. Es handle sich also um Geschäfte, für die deutsche Stellen zu Recht die Genehmigung erteilt hätten. Genehmigt und abgewickelt wurde schon zu Zeiten, als Irak und Iran Krieg gegeneinander führten (1980-88), und zwar unter Bruch bestehender Gesetze und Verordnungen. Für die Produktionsanlage Samara, bei der es sich um eine Chemiewaffenfabrik handelte, schloss Thyssen Rheinstahl Technik 1981 einen Vertrag zur Einrichtung eines »chemischen Labors« ab. 1983 wurden toxikologische Labors, die bei der Produktion von Chemiewaffen benötigt werden, unter Mithilfe von Karl-Kolb-Experten bei der Firma Rhein-Bayern in Magirus-Deutz-LKW eingebaut, von Bundeswehr-Experten besichtigt und anschließend nach Irak exportiert. Ein Jahr später lieferte Preussag für Samara nach eigenen Angaben Wasseraufbereitungsanlagen, Werkzeugmaschinen und Kühlcontainer. Zeitgleich übernahm die Firma Gildemeister für das militärische Forschungs- und Entwicklungszentrum Saad-16 als Generalunternehmen den Bereich »Technologie«. Rund 40 deutsche Betriebe waren allein im Zusammenhang mit dem Saad-16-Projekt tätig und kümmerten sich unter anderem um ein Ausbildungsprogramm für irakische Spezialisten, das den Umgang mit Chemielabors umfasste. Durch die Lieferung von Schlüsselchemikalien, die als Grundstoffe des Giftgases Tabun gelten, wurde es Irak schließlich ermöglicht, mit der Produktion seiner Chemiewaffen zu beginnen. Ab 1988 hatten die Geschäfte deutscher Firmen und die vermeintliche Ahnungslosigkeit deutscher Stellen für Tausende Kurden verheerende Folgen. Kriegsherr Saddam Hussein setzte bei Angriffen gegen die kurdische Bevölkerung im Norden des Landes seine »neuen Waffen« ein. Schon vorher, im Krieg gegen Iran, war Giftgas zum Einsatz gekommen. Obwohl dies bekannt war, hatte die damalige CDU-FDP-Bundesregierung offenbar kein Interesse daran, diesen deutsch-irakischen Geschäften einen Riegel vorzuschieben. Nach bekannt gewordenen Aussagen des 1995 nach Jordanien geflohenen und nach seiner Rückkehr nach Irak ermordeten irakischen Ministers für Militärrüstung, Hussain Kamil al-Majid, stammten etwa 70 Prozent der Giftgasanlagen von deutschen Firmen. Belegt ist, dass Angestellte der hier in Erscheinung tretenden Firmen für den Bundesnachrichtendienst (BND) tätig waren.