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Kirchen, Steuern und Tendenzen

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Eigentlich ist das Wort ein Widerspruch in sich: Kirchensteuer. Steuer ist eine Zwangsabgabe. Die Vorstellung, daß eine christliche Kirche jemand zu etwas zwingt, ist absurd. In den evangelischen Kirchen der DDR hieß es freundlich Kirchgeld.

Aber es geht nicht um Freundlichkeit, sondern um Geld. Dessen Eintreibung ist jetzt für die Christen in den östlichen Ländern anderen Gesetzen unterworfen. Es gibt keine freiwilligen oder selbstbestimmten Beiträge, sondern einen festen Satz: 9 Prozent der Lohnsteuer. Und es gibt nicht mehr den direkten Zahlkontakt zwischen Kirche und Mitglied. Der Staat hat die Kassierung übernommen. Viele Mitglieder meinen, die Kirche leiste sich damit keinen guten Dienst. Das Band zwischen ihr und den Gläubigen werde dünner.

Das äußert sich nicht nur geistlich, sondern auch ökonomisch. Durch die Umstellung auf das westdeutsche Verfahren würden die Kirchgemeinden praktisch zu Bittstellern gegenüber der eigenen Kirche, meint der Zittauer Superintendent Dietrich Mendl. In DDR-Zeiten hatten die Gemeinden, weil sie die Gelder selbst eingenommen haben, eine relative Autonomie. Jetzt ?sind sie auf das freiwillige Kirchgeld angewiesen. Alles, was sie sonst noch brauchen, müssen sie bei ihrer Obrigkeit beantragen. Nun ist die Einnahmesituation nach Auffassung des sächsischen Landesbischofs Johannes Hempel zwar besser als erwartet. Aber die unteren Instanzen scheinen dennoch den Eindruck zu haben, bei der Verteilung werde geknausert. Und bitten zu müssen, mindert das ohnehin angekratzte Selbstbewußtsein der Gemeinden.

Die Landeskirche Thüringen beklagt durch Oberkirchenrat Walter Weißpfennig, daß die Eintragungen über die Kirchenmitgliedschaft in den Melderegistern nicht korrekt seien, obwohl laut Pressestelle die Mitgliederzahl wächst. Aber ökonomisch zählt nun eben einmal nur, wer zahlt. Da gibt es Hoffnung in Berlin-Brandenburg (Ostregion), wo laut Propst Hans-Otto Furian die Zahl der bei den Meldestellen Registrierten über der Zahl in den Kirchenkarteien liegt, und in der Görlitzer Kirche, die „vorsichtigen Optimismus“ meldet.

Zu dem östlichen Problem der Listen kommt ein gesamtdeut-

sches. Standesämter berichten nach dem l.Juli von Kirchenaustritten bei den beiden großen Konfessionen. Der württembergische evangelische Landesbischof Theo Sorg spricht von „dramatisch“: In zwölf Kirchenbezirken traten doppelt so viele Mitglieder aus wie im Vorjahr. Ursache: die Steuererhöhungen, die an diesem Tag in Kraft traten („Solidar“beitrag, Kraftstoff Steuer). Viele kündigen die Kirchenmitgliedschaft offenbar als sozialen Ausgleich für die Erhöhung, obwohl .die Kirchensteuer selbst nicht angehoben wurde.

Es könnte an die Substanz gehen. In den alten Bundesländern gab es seit 1980 ohnehin eine ansteigende Tendenz der Austritte. 1989 lag die Zahl bei den Katholiken bei 93 000, bei den Evangelischen ein Jahr später um 147 000. In den neuen Ländern gehören nur noch knappe 27 Prozent der Bürger den Kirchen an. In ganz Deutschland verlor die evangelische Kirche in den vergangenen vier Jahrzehnten nahezu ein Drittel ihrer Mitglieder.

Ein Anhalten dieser Tendenz wird ökonomische und politische Folgen haben. Ökonomisch: Sinkende Mitgliederzahl heißt auch Trend zu sinkenden Einnahmen. Selbst wenn die Kirche von gewerkschaftlichen Tarifvereinbarungen profitiert, wirkt die Arbeitslosigkeit in West und .Ost. als Einnahmesperre.

Nun sind zwar die 13 Milliarden Steuereinnahmen der katholischen und evangelischen Westkirchen kein Pappenstiel. Aber sie werden gemindert, da sie aus bekannten Gründen den Tropf speisen müssen, an denen die Ostkirchen noch hängen. Das aber hat die politische Folge, daß diese Kirchen, ob sie wollen oder nicht, in Entscheidungen und im Abstimmungsverhalten im Rat oder in den Synoden der EKD zu Rücksichtnahmen gezwungen sind. Man braucht hier nicht lange über die Rolle der Finanzen in der Demokratie zu philosophieren.

60, in den evangelischen Kirchen sogar 70 Prozent der Kirchensteuern werden für die Bezahlung von Pfarrern oder Kirchenpersonal, ein weiterer großer Teil für Verwaltungskosten eingesetzt. Das heißt, wenn die Zahl der Mitglieder weiter sinkt und die Zahlungsmoral nicht steigt, wird sich das notgedrungen auf das Funktionieren der gesamten Organisation auswirken. GÜNTER FLEISCHMANN

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