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\nd-REPORT

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Orwat forderte daraufhin die Leitung der Charit^ - nur sie oder auch die des Klinikums Steglitz und des Rudolf-Virchow-Krankenhauses (UKRV)? - am 29. August (!) auf, ihm binnen einer Woche (!) eine detaillierte Darstellung ihrer Leistungsfähigkeit zu übermitteln.

Trotz der unvertretbar kurzen Frist wurde Orwat am Mittwoch, dem 5. September (!) ein entsprechendes 8-Seiten-Papier mit vielen konkreten Zahlen übergeben. Sein Titel: „Die Charite' - eine unverzichtbare Komponente Berliner hochschulmedizinischer Forschung und Lehre.“ Am folgenden Donnerstag war in der Charite Mitarbeiterversammlung. Der Dekan, Prof. Harald Mau, der Rektor der Humboldt-Universität, Prof. Heinrich Fink, und auch der Präsident der Berliner Ärztekammer, Dr. Ellis Huber, gaben sich absolut sicher, daß niemand die Charite als Uni-Klinik in Frage stellt. Im Nachhinein fällt auf, daß weder ein prominenter Vertreter der zuständigen Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung, noch der mit der „Prüfung“ beauftragten Gesundheitsverwaltung ein Wort sagte. War überhaupt jemand da?

Fakt ist, schon am folgenden Dienstag (!) hatte Finanzstaatssekretär Strauch das Urteil fertig: Die Ostberliner Charite' wird plattgemacht, die beiden Westberliner Uni-Klinika bleiben, Steglitz als

das der Freien Universität, das Virchow-Krankenhaus als das der Humboldt-Universität. Freilich unter falscher Flagge: Die Klinik, der elementare Voraussetzungen zur Ausbildung von Ärzten fehlen, darf sich mit fremden Federn schmücken: „Charite Rudolf Virchow“ soll ihr neuer Name sein.

Hat Strauch tatsächlich Nächte und selbst das Wochenende geackert, um binnen vier Tagen die Leistungs- und Kostenprofile von drei Uni-Kliniken so gewissenhaft zu analysieren, daß er schon am 10. September den Fachleuten sagen konnte, was sie zu tun haben?

Der Vorwurf ist ungerecht, wird es heißen. Denn in dem Brief steht ja, diese „Überlegungen“ seien „nicht als Vorgaben zu betrachten“. Doch das Ultimatum folgt einen Halbsatz später: Die erforderliche Unterschrift unter die Senatsvorlage der Gesundheitsverwaltung werden Finanzsenator Pieroths Mannen nur geben, wenn es nach ihren Vorstellungen geht. Juristen nennen so etwas wohl Nötigung. Aber vermutlich ist das gar nicht nötig/Weder Orwat noch sein früher der Ost-, jetzt der Kohl-CDU dienender Senator, der durch ungenehmigte Versuche mit Präparaten ins Gerede gekommene Landwirt Luther, haben sich erkennbar für die Charite ins Zeug gelegt, sondern eher betont, daß sie dafür nicht zuständig sind.

Ärger mit dem Koalitionspartner SPD müssen die CDU-Chefabwickler nicht befürchten. Denn der gesundheitspolitische SPD-Sprecher im Abgeordnetenhaus, Reinhard Roß, verficht offenbar dieselbe Linie. Weil er ein Duzfreund des „Generalbevollmächtigten“ des Virchow-Krankenhauses, Bernhard Motzkus, ist? In einem Brief an SPD-Fraktionschef Ditmar Staffelt habe Roß unter dem Deckmantel der „Zusammenführung“ folgendes vorgeschlagen:

1. Reduzierung der Bettenzahl an der Charite von jetzt rund 2 000 auf 600, also um 70 Prozent,

2. Zuordnung der am Virchow-Krankenhaus fehlenden Grundlagenmedizin der Charit^ an das UKRV,

3. Abgabe der unprofitablen Psychiatrie des UKRV an die restliche Zwerg-Charite.

„Angesichts der Finanzklemme des Landes Berlin“, erklärte dazu die Fraktion Bündnis 90/Grüne (AL)AJFV im Abgeordnetenhaus, „schlagen R. Roß und die Leitung des UKRV vor, die Charite (Ost) auszuplündern und damit das UKRV (West) zu sanieren. Anders sind diese Vorschläge nicht zu verstehen.“

In der Tat. Nun geht die CDU-Finanzverwaltung noch ein kleines Schrittchen weiter, ist in ihrer Art konsequent: „Die nicht mehr benötigten Gebäude der Charite'“, meint Staatssekretär Strauch, „könnten zur Disposition gestellt werden.“ Ausdrücklich nennt er auch das erst vor wenigen Jahren neu errichtete Bettenhochhaus und wird sogar zum Baufachmann, indem er diagnostiziert, es sei „grundsanierungsbedürftig“. Ist ein bekannter Konzern darauf als Firmensitz in City-Lage scharf? Oder hofft man so, „billig“ zu einem „Olympischen Dorf“ zu kommen?

Um Kosteneinsparung bei der Medizinerausbildung oder im stationären Gesundheitswesen geht es dabei mit absoluter Sicherheit nicht. Denn nicht nur die Krankenzimmer in diesem Hochhaus sind von einem Standard, der sich vor dem Durchschnittsniveau im Westen nicht zu verstecken braucht. Auch Operationssäle, diagnostische Geräte wie Computer- und Kernspintomograph... Soll das alles auf den Müll, oder wird sich das vorher auch das UKRV schnappen? Zur Dämpfung der Kosten dort. Sie werden trotzdem wesentlich höher als an der Charitö sein, denn hier zahlt man dank gebrochener Wahlversprechen der Berliner, CDU noch immer nur zwischen 50 und 60 Prozent der Westgehälter.

„Offensichtlich wagt man so etwas nur einem Universitätsklinikum der ehemaligen DDR anzutun!“, heißt es in der gestrigen Presseerklärung des Klinikvor-

stands der Charit^. „Sind hier neue Seilschaften am Werke?“, wird gefragt. Angesichts der Tatsachen erübrigt sich die Antwort.

Dr. CLAUS DÜMDE

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