nd-aktuell.de / 25.09.1991 / Politik / Seite 5

Sehen Sie einen Aufschwung sozialdemokratischer Parteien im Osten?

Ja, aber das wird seine Zeit brauchen, Zeit, die Parteien aufzubauen und die Menschen zu engagieren. Denn Demokratie ist eine schwierige Sache. Manchmal treffe ich Leute, die mich an Djilas Buch „Die neue Klasse“ erinnern: Nun kommen wir und wollen bestimmen. Aber es geht ja darum, eine Gesellschaft zu formen - zusammen mit allen.

Von konservativer Seite wird ja nach den Ereignissen in der Sowjetunion der endgültige „Tod des Sozialismus“ beschworen. Hatte solcherart Gerede vielleicht auch Einfluß auf das schwedische Wahlergebnis?

Das ist gut möglich. Mehrere bürgerliche Parteien haben im Wahlkampf auf die Entwicklung in Osteuropa angespielt, um gleichsam zu beweisen, daß heutzutage nur sie die politische Entwicklung meistern können. Aber das reicht nicht, um das Wahlresultat zu erklären. Auch die liberale Volkspartei, das Zentrum, die Linkspartei, die über Verteilungspolitik und Solidarität sprachen, haben ebenso wie wir verloren, und die Konservativen und die neue extreme Rechtspartei „Neue Demokratie“, die über Egoismus sprachen, haben gewonnen. Es scheint, als ob der Neuliberalismus,, der Thatcherimus und Reaganismus, der anderswo im Abklingen ist, in Schweden Einzug hält. Es war so etwas wiö eine Protestwahl, glaube ich. Dabei fanden alle „weichen“, menschlichen Botschaften weniger Gehör. Leider machten sich auch rassistische und ausländerfeindliche Tendenzen bemerkbar.

Die Sowjetunion ist praktisch zerfallen - wie wollen die schwedi-

schen Sozialdemokraten die Zusammenarbeit mit den baltischen und anderen Ländern an der Ostsee voranbringen?

Svend Auken, der Vorsitzende der dänischen Sozialdemokraten, Björn Engholm aus Deutschland und unser Parteivorsitzender Ingvar Carlsson. haben die Initiative zur Bildung eines Ostseerates ergriffen, der nicht nur eine Sache von Parteien sein soll. Er soll generell die Zusammenarbeit aller Ostseeanliegern fördern, also der Skandinavier mit den baltischen Staaten, der Region St. Petersburg, Polen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Eine der wichtigsten Fragen dabei ist die Umweltzusammenarbeit. Wenn unsere Enkel noch Hering und Lachs aus der Ostsee essen sollen, dann müssen wir reale Anstrengungen dafür unternehmen - ich habe die Umweltzerstörungen durch bestimmte Fabriken in Polen und nahe St. Petersburg gesehen. Selbstverständlich muß auch die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit verstärkt werden. Es wird ja so viel von dem künftigen Europa der Regionen gesprochen, und ich glaube, das Ostseegebiet kann eine solche Region sein.

Das Gespräch führte Dr. JOCHEN REINERT

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sich in ihren Einheiten beim Arzt zu melden. Doch die meisten haben Angst, Hilfebedürftigkeit zu signalisieren, weil sie um ihre Karriere in der Armee fürchten. Und so wird das Problem weiter verschleppt. Soldaten zeigen weiterhin Fotos, auf denen sie mit den Leichen von irakischen Soldaten beim Trinkgelage posieren. Die erlebte Grausamkeit wird schließlich zu sich steigernder Gewalt gegen sich selbst und andere. Deutlicher kann das menschlich Zerstörerische eines Krieges kaum gemacht werden. Doch in der Öffentlichkeit soll das Bild der „Helden vom Golf“ erhalten bleiben, eine scheinbare „Schwäche“ der Krieger paßt da nicht ins Szenarium. Die Siegesplaketten wurden ja bereits mit Blick auf den nächsten Einsatz verteilt. Auch deshalb wurde der Kanonier Williams, der von seiner Einheit aus Deutschland geflohen war, weil er nicht am Golfkrieg teilnehmen wollte, und der auf mehreren Demonstrationen zum Waffenstillstand aufgerufen hatte, jetzt zu einer Gefängnisstrafe von 14 Monaten verurteilt.