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Kompromiß-Chancen im Karabach-Konflikt

  • KLAUS JOACHIM HERRMANN, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.

In der Nacht zum Dienstag hatte es schon geheißen, Armenien und Aserbaidshan hätten sich über eine Lösung im Karabach-Konflikt geeinigt. Gestern morgen dann war von „ziemlich schwierigen“ Verhandlungen die Rede, die noch weiter geführt werden müßten. Nach 13 Stunden schließlich die Meldung, beide Seiten wollten den Streit durch Verhandlungen beilegen. Die Delegationen sind schon bestätigt. Garanten für die vereinbarte Feuereinstellung werden Rußland und Kasachstan sein.

Der Konflikt um das zu Aserbaidshan gehörende und zu knapp 80 Prozent von Armeniern bewohnte Gebiet Nagorny Karabach hat seit seinem offenen Ausbruch im Februar 1988 mehr als 800 Menschenleben gekostet und über 5 000 Verletzte gefordert. Die Parteien sind hochgerüstet. Ihr Arsenal reicht von Messern bis zu Hagelkanonen. Kaum eine Brutalität, kaum eine Möglichkeit der Demütigung des Gegners wurde ausgelassen.

Die Aussichten der gegenwärtigen Verhandlungen aller Konfliktparteien unter der Schirmherrschaft des russischen und des kasachischen Präsidenten werden hier gemischt gesehen. Zweifler verweisen auf die tiefe Feindschaft zwischen Armeniern und Aserbaidshanern, mehr noch aber auf eine unglückselige Historie. Für die Aserbaidshaner ist das 4 000 Quadratkilometer große und von 180 000 Menschen bewohnte Gebiet mit Herzblut getränktes Kernland und als Khantum Karabach die Wiege aserbaidshanisch-moslemischer Staatlichkeit. Die Armenier hingegen sehen mittel- und kleinasiatische Turkstämme erst im 18. Jahrhundert in den gebirgigen Teil Karabachs eindringen. Dagegen hätte sich stets armenischer Widerstand geregt, und das Khantum sei mit dem russisch-iranischen Vertrag eliminiert worden.

1918/19 fiel das Gebiet wieder an Aserbaidshan, nach der Errichtung der Sowjetmacht in den frühen 20er Jahren wurde es feierlich an das „brüderliche Armenien“ abgetreten. Es blieb allerdings nur die Deklaration, denn Stalin bevorzugte die Eingliederung in Aserbaidshan. 1923 entstand dann das Autonome Gebiet. Nach langen Querelen, nach aufgestautem Mißmut über Benachteiligungen kam es 1988 schließlich zur Explosion. Im Februar beschloß der Gebietssowjet den Anschluß an Armenien.

Natürlich begrüßte das die armenische Seite, die aserbaidshanische dagegen berief sich auf die Unions-Verfassung, nach der die Grenzen einer Republik nur mit deren Zustimmung verändert werden dürfen. Und Nationalisten beider Seiten machten mobil. Verkehrsblockaden mündeten in einen „Krieg der Steine“, Waffendepots wurden gestürmt. Die immer wieder hilflos wirkende Moskauer Zentralgewalt flüchtete schließlich in eine wenig erfolgreiche „Sonderverwaltung“ und Anfang 1990 in den Ausnahmezustand.

Nach wiederholtem Abflauen und Wiederaufflammen der Unruhen proklamierten Anfang September 1991 der Gebietssowjet Karabach und der Rayonsowjet Schaumjan die Armenische Republik Nagorny Karabach, was die prompte Ungültigkeitserklärung aus Baku zur Folge hatte. Zuvor hatten gar Deputierte aus Karabachs Verwaltungszentrum Stepanakert unter Berufung auf den Gjulistan- Vertrag von 1813, da das Gebiet zu Rußland gehörte, eine weitere Begründung für einen autonomen Sonderstatus gefunden. Dies dürfte eher zu neuer Verwirrrung beigetragen haben, so daß die Vermittlungs- und Verhandlungsmission Rußlands und Kasachstans jetzt vielleicht in letzter Minute eine neue Eskalation verhindert haben könnte.

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