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  • Brandenburg
  • Letzte Sitzung des Senats im Schöneberger Rathaus

Wehmut, Gesang und (k)ein Schlüsselerlebnis

  • Lesedauer: 3 Min.

(ND-Oertel) So richtig losgehen wollte die gestrige Pressekonferenz nach der allwöchentlichen Senatssitzung nicht. Doch das mag man verzeihen. Stand doch das Schöneberger Rathaus ganz im Zeichen einer Zäsur. Mit ein wenig Wehmut nahm der Regierende Abschied vom bisherigen Sitz. Volk mit Blumen im Arm, das beziehungsreiche „Berlin tut gut“ von den Schöneberger Sängerknaben und viele bedeutungsschwangere Worte sorgten für die angemessene Atmosphäre im Amtshaus unter der Freiheitsglocke, das man nun verläßt, um im Roten (offiziell Berliner) Rathaus weiterzuregieren. Obwohl Diepgen justament zeitgleich mit der Presseunterrichtung über die Beschlüsse der letzten Senatssitzung am alten Ort symbolisch seinen Untermieterschlüssel abgab, gerieten die gestrigen Senatsoffenbarungen keinesfalls zu einem Schlüsselerlebnis.

Dabei erhitzt das Thema, zu dem die Senatorin für Soziales, Ingrid Stahmer (SPD), Stellung nahm, seit längerem Ältere und Pflegebedürftige dies- und jenseits des Brandenburger Tores erheblich. Die SPD-Politikerin erläuterte die Berliner Forderungen für einen Gesetzentwurf über eine gesetzli-

che Pflegeversicherung, die am Freitag dem Bundesrat vorgetragen werden sollen, wenn dort der Entwurf der SPD-regierten Länder behandelt wird. Obwohl die Vorstellungen des Senats nur in Einzelheiten vom Gesetzentwurf der sechs Länder abweicht, ließ die Senatorin offen, ob Berlin diesen Gesetzentwurf mittragen werde.

Der Senat, so Frau Stahmer, trete für eine umfassende Regelung ein. Niemand solle nur deshalb Sozialhilfe erhalten, weil er pflegebedürftig sei - das bedeute, daß auch Selbständige, Freiberufler und Beamte einbezogen werden müßten. Ausgeschlossen sein müsse ein Untersuchungs- und Leistungsstreit zwischen der Kranken- und Pflegeversicherung, deshalb müsse die Pflegeversicherung unter dem Dach der Krankenkassen angesiedelt werden, erklärte die Senatorin. Sie sprach sich zugleich für ein Wahlrecht der Leistungsart und einen bundesweiten kassenartenübergreifenden Risiskostrukturausgleich aus, zu dem auch jene einen Beitrag leisten müßten, die die Leistungen im Pflegefall nicht gesetzlich, sondern anderweitig absichern. Festgeschrieben werden müsse im Gesetzentwurf nach An-

sicht von Frau Stahmer die Pflicht zur aktivierenden und rehabilitierenden Pflege. Weitere Stichworte der Berliner Sicht zum heißdiskutierten Thema: Beratungsanspruch und -hilfen, finanzielle Unterstützung zur Wohnungsumgestaltung und -erhaltung bei befristeter stationärer Pflege und Rehabilitation, volle Übernahme von Fahr- und Transportkosten ohne Selbstbeteiligung.

Der Senat hat sich gestern auch mit „Konsequenzen aus dem Warteschleifenurteil des Bundesverfassungsgerichtes“ beschäftigt. Danach muß für Frauen, für die zum Zeitpunkt des Beginns des Wartestandes Kündigungsvorschriften nach Mutterschutzrecht galten, das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden - Schwerbehinderte, über 50jährige und Alleinerziehende sollen bei der Neubesetzung von Stellen angemessen berücksichtigt werden. Voraussetzung hierfür sei jedoch, so die etwas nebulöse Konsequenz des Senats, daß sich die Betroffenen unter den mehr als 17 000 Warteschleiflern bei den für die Abwicklung zuständigen Dienststellen melden. Was aber, wenn es die für die massenhafte Abwicklung zuständige Stelle, wie

beispielsweise den längst zu Grabe getragenen Magistrat, nun auch nicht mehr gibt? Wohl oder übel wird sich der Senat, jetzt ganz in der Nähe der tausendfach abgewickelten Ostberliner gleich hinterm Alex anzutreffen, fortan zu einem großen Teil selbst mit diesem Problem beschäftigen müssen.

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