Hin- und Hergeschiebe vor den Bildern in der weißen Halle des Museums. Absatzgeklapper auf edlem Parkettfußboden, brodelndes Geraune füllt den Raum. Nach der erfolgreichen Ausstellung von Gemälden aus Marc Chagalls russischen Jahren scheint die Schirn Kunsthalle in Frankfurt am Main (man sagt hier einfach „die Schim“) gleich einen neuen Renner gelandet zu haben: „Picasso - Miro - Dali und der Beginn der spanischen Moderne, 1900-1936“.
„Spanier! Spanier! Worauf wartet ihr denn, stumm vor Entsetzen, den Blick zur Erde gewandt, zwischen stinkenden Schwaden aus Weihrauch und verfaulten Blumen, in dieser dreckigen Arche von Kathedrale, die Euch christliche Lämmer nicht vor der Sintflut zu retten vermag...? Erhebt Euch! Erhebt Euch!“ Erheben sollten sie sich, wie der (italienische) Schriftsteller Filippo Tommaso Marinetti in seinem „Futuristischen Aufruf an die Spanier“ 1911 forderte - in großen schwarzen Lettern ist er das erste, was der Besucher erblickt.
Und sie erhoben sich. Bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges 1936 entstanden in Spanien viele künstlerische Initiativen, die später in Vergessenheit gerieten. Zusammen mit den drei großen Pionieren der modernen spanischen Kunst werden ihre Arbeiten hier präsentiert.
Eine Menschentraube vor einem der berühmtesten Werke der Ausstellung: Dalfs „Der große Masturbator“ von 1929. Es ist ein typisches Gemälde des Surrealisten, verschiedene Objekte und Körperteile verfließen ineinander, stark kontrastierende Farben, scharfe Konturen, exakt gemalte Details. Immer wieder entdeckt man eine neue Figur, einen neuen Sinn. Gönnerhaft veranschaulicht ein junger
Mann seinen Begleitern die „Integrations- und Kombinationskunst“ des „Genies“ Nach wie vor ist Dali besonders bei jungen Leuten hier im Westen sehr populär.
Nach einer guten Stunde, in der ich gerade ein Drittel der Ausstellung gesehen habe, steht fest: Es ist kein leicht verdaulicher Kunstgenuß, was hier geboten wird. Die Gemälde, Zeichnungen, Collagen und Skulpturen geben Aufschluß über eine Zeit des Umbruchs und der radikal fortschreitenden Neuerungen - in Spanien wie in ganz Europa. In den Kunstwerken wird eine Geschichte spürbar, die uns heute noch betrifft. Es ist die Zeit der zunehmenden Technisierung, Industrialisierung, Vermassung und - der Weltkriege.
Gerade die weniger bekannten Werke bieten da neue Einblicke. Zum Beispiel Daniel Vazquez Diaz' Gemälde „Eine schlafende Fabrik“ von 1925: In erdig-grünen Pastelltönen gemalt steht die Fabrik in einer sanften Hügellandschaft - wie ein richtiges Dorf. In der Mitte ragt der Fabrikschornstein auf - wie ein Kirchturm. Noch wie ein friedlich schlafendes Dorf sah Diaz also die Fabrik - oder ist sie nur friedlich, weil sie schläft?
Interessant ist, daß man hier von den drei Meistern Werke sehen kann, die noch ganz anders sind als die, mit denen man sie immer in Verbindung bringt. So einige frühe Collagen von Dali, Studien und Akte von Picasso wie die „Junge Frau, stehend im Profil“ (so leicht, so sanft und so exakt), oder ein wunderschön flüchtig hingeschmiert-skizziertes Stilleben von Joan Miro in Öl.
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/330679.als-spanien-sich-erhob.html