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Die Union ist tot^ es lebe die Gemeinschaft!

  • unserem Moskauer Korrespondenten KLAUS JOACHIM HERRMANN
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken ist tot, es lebe die Gemeinschaft der Unabhängigen Staaten. Das ist das in seiner Klarheit letztlich doch ein wenig überraschende Resultat der Verhandlungen in Alma Ata. Aus dem zuerst slawischen Bund, der im weißrussischen Brest besiegelt wurde, hat sich im kasachischen Alma Ata ein neuer Zusammenschluß ergeben. Dieser ist Schlußpunkt und zugleich vielleicht Neubeginn, wobei üblicherweise das Vergangene klarer erscheint, als das Kommende.

In jedem Falle verkörpert die neue Gemeinschaft den Abschied vom Einheitsstaat und das Zusammenwirken in einer vergleichsweise losen Verbindung. Wie sich die Dinge auch im konkreten Falle entwickeln, so drängen nun offenkundig die elf Teilnehmer als gleichberechtigt und selbständig sowohl in die internationale Arena, als auch in den freien Raum der früheren Union. Auf beiden Gebieten wird man den Einstieg und den Ausgleich suchen müssen, das Miteinander und die Abgleichung der Interessen. Allein mit der Proklamation ist da erst wenig getan.

Der schwierige Umgang mit dem atomaren Erbe der einstigen Weltmacht weist darauf überdeutlich. Die Erklärungen sind erst einmal einleuchtend und trotzdem dürfte in der Hast des Zusammenfindens einiges Problematische noch zu erwarten sein. Zu deutlich schließlich erscheint die dominante Nachfolge Rußlands, als daß man sich nicht noch ein Faustpfand sichern wollte. Kasachstan hat das bereits getan.

Dies aber ist kaum die einzige Schwierigkeit. Schließlich muß der politischen Übereinkunft nun die praktische Verwirklichung folgen. Da wären die Anteile der einzelnen Staaten nicht nur an den nachgelassenen Schulden, sondern auch an den Guthaben zu klären. Wann kommt beispielsweise der erste Protest gegen Rußland wegen der Übernahme der Unionsministerien, der Botschaften in aller Welt und anderer teilbarer Güter? Hier geht es neben aller Politik immerhin um schlichten Immobilienbesitz. Da gibt es trotz allen Mangels auch noch ehemals zentralistische Eisenbahnen, Fluglinien, Rüstungsbetriebe, Devisen-, Goldund Diamantenvorräte sowie tau-

senderlei Güter, die im Rahmen eines einst gewaltigen Landes alles andere als Kleinkram sind. Wer hat was hineingetan, wer nimmt wovon wieviel?

Der Streit ums Erbe kann nicht ausbleiben, auch nicht der um jenes, das keiner haben will. Warum eigentlich sollte die GUS plötzlich jene inneren nationalen und ethnischen Konflikte lösen, die die UdSSR erschütterten - fallen vielleicht deren Gründe und Ursachen einfach weg, weil da zwei Präsidenten wie der aserbaidshanische und der armenische eine Unterschrift leisteten?

Was bleibt, ist auch die tiefe innere und existenzbedrohende Wirtschaftskrise. Die Konzepte zu ihrer Lösung sind weiter unscharf und leben im wesentlichen von der Erwartung gewaltiger Hilfe. Hat auch die entschlossene und teilweise gar drohende Haltung der Ukraine in der Frage der Selbständigkeit und vor allem einer eigenen Währung Rußland mit Urgewalt an den Brester Verhandlungstisch getrieben, so ist nun zwar der Rubel- aber längst noch nicht der Wirtschaftsraum geklärt. Hier darf man bei Umfang und vor allem Kompli-

ziertheit getrost europäische Maßstäbe anlegen, wobei jeder um die Langwierigkeit solcher integrierenden Prozesse weiß. Dies nun vor allem angesichts eines fast völligen Zusammenbruchs von Strukturen .und Prinzipien, Produktion und Verteilung.

Längst haben Rußland und die übrigen Staaten des neuen Bundes nachgewiesen, daß die Abwesenheit von Kommunisten noch lange keine Demokratie und das Fehlen der Plan- noch lange keine Marktwirtschaft gewährleisten. Niemand sollte deshalb ernstlich glauben, daß das Verkünden einer Gemeinschaft schon diese selbst wäre. Alma Ata erscheint zuerst als der Schlußpunkt des Zerfalls der alten Union und mehr nur als eine Möglichkeit des Neubeginns. Keine Überraschung wäre es, sollten sich in den nächsten Schritten die so verhaßten Dominanten einer führenden Macht und vieler nachgeordneter Satelliten diesmal quasi von unten erneuern. Das wären dann aber nicht mehr die Unionszentrale und Gorbatschow, sondern Rußland und Jelzin. Die Union ist tot, es lebe die Gemeinschaft. Was aber ist gebessert?

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